Die Debatte über eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung in Deutschland hat an Fahrt gewonnen, weil politische Verantwortliche und Experten vor den wachsenden Herausforderungen stehen: steigende Pflegekosten, ein zunehmender Fachkräftemangel und eine stark alternde Bevölkerung machen das bestehende System zunehmend instabil. Bund und Länder arbeiten derzeit an Vorschlägen, wie die Pflegeversicherung zukunftsfest gemacht werden kann, doch konkrete Entscheidungen stehen noch aus.
Die Debatte um die Zukunft der Pflegeversicherung bekommt eine neue Dringlichkeit: Der Chef des GKV-Spitzenverbandes, Oliver Blatt, warnt vor einer finanziellen Schieflage mehrerer Pflegekassen bereits im kommenden Jahr. Während Bund und Länder weiter über Reformoptionen ringen, zeichnet die Krankenkassenseite ein deutlich dramatischeres Bild.
Blatt macht klar: Die Pflegeversicherung »lebt aktuell auf Pump«. Der Bund habe bereits Darlehen in Höhe von rund 4,2 Milliarden Euro gewährt – ein Betrag, der die Finanzierungslücke zwar rechnerisch abdecke, aber die strukturellen Probleme nicht löse. Die Finanzierung sei »auf Kante genäht« so Blatt, weshalb einzelne Pflegekassen 2026 Liquiditätshilfen benötigen könnten. Zwar gebe es dafür geregelte Verfahren, doch allein die Tatsache, dass diese notwendig würden, zeige die Dimension des Reformbedarfs.
Der GKV-Spitzenverband kritisiert zudem, dass vielen politischen Akteuren die Brisanz der Lage offenbar noch immer nicht ausreichend bewusst sei. Hintergrund ist die Arbeit der Bund-Länder-Gruppe zur Pflegereform, deren bisherige Zwischenergebnisse als unzureichend bewertet werden. Für Blatt ist klar: Ohne strukturelle Neuausrichtung drohen sowohl Versorgungsrisiken für Pflegebedürftige als auch Beitragsexplosionen für Versicherte.
Besonders kontrovers ist sein Vorschlag, die Kriterien zur Anerkennung von Pflegebedürftigkeit sowie die Einstufung in Pflegegrade zu verschärfen. Die Reform von 2017 sei »sehr großzügig« angelegt gewesen. Seitdem habe sich die Zahl der Pflegebedürftigen nahezu verdoppelt, von rund drei auf knapp sechs Millionen Menschen. Ohne Anpassung der Regeln könne das System diese Dynamik kaum tragen.
Parallel verweist die Politik weiterhin auf den »Zukunftspakt Pflege«, der unter anderem Prävention, strukturelle Verbesserungen und eine Stabilisierung der Finanzierung vorsieht. Doch ob dieser Ansatz genügt, ist umstritten. Experten mahnen, dass die Kombination aus alternder Bevölkerung, steigenden Kosten, Fachkräftemangel und wachsender Leistungsinanspruchnahme kein Szenario für kleine Korrekturen mehr ist, sondern für eine grundlegende Neuordnung.
Es wird immer deutlicher: Die Pflegereform ist kein Zukunftsprojekt mehr – sie benötigt Akutpolitik. Die kommenden Monate werden entscheiden, ob Deutschland die Pflegeversicherung stabilisiert oder erstmals erlebt, dass einzelne Pflegekassen an ihre finanzielle Grenze geraten.
SK