Die Coronapandemie hinterlässt noch ihre Spuren, auch in der Fitnessbranche wird es Insolvenzen geben. Mit der richtigen Wachstumsstrategie und angepassten Prozessen hätte das zum Teil vermieden werden können, meint Unternehmensberater und Fitnessexperte Chris Mewes. In unserem Interview erklärt er, wie Studiobetreiber in der Krise agieren sollten und welche Potenziale die Digitalisierung bietet.
Herr Mewes, während der Lockdowns sah es nicht gut aus für die Fitnessbranche. Wie geht es ihr jetzt?
In der Fitnessbranche gibt es nach wie vor Gewinner und auch Verlierer. Auf dem Markt gibt es aktuell eine Menge Verlierer, denen so langsam aber sicher das Budget für das Wachstum ausgeht. Das Resultat: steigende Insolvenzen der Fitnessclubbetreiber. Die Gewinner hingegen sind besonders jene Fitnessclubbetreiber, die seit der Wiedereröffnung die Prozesse im Vertrieb weiter ausgebaut haben – sowohl online als auch offline. Wer hauptsächlich monatlich kündbare Mitgliedschaften angeboten hat, der sollte sein Angebot inzwischen wieder angepasst haben. Fitnessclubbetreiber sollten Vertriebsstrategien wählen, mit denen sie offline zwölf oder 24 Monate mit einem angemessenen Durchschnittsbeitrag im Verkauf realisieren. Im Onlinevertrieb empfehle ich eine niedrige Einstiegshürde, so dass die Unternehmen mit beispielsweise einer flexiblen, monatlich kündbaren Option neue Mitglieder auf Knopfdruck für sich gewinnen. Auf den Punkt gebracht, bedeutet dies: Die Fitnessbranche atmet wirtschaftlich auf; vorausgesetzt, die Unternehmen passen ihren Vertrieb dem Puls der Zeit an.
Viele Menschen haben sich während des Lockdowns umorientiert und betreiben Sport draußen in der Natur oder zuhause mit Onlinekursen. Wie kann die Fitnessbranche sie wieder zurückgewinnen und welche Aufgaben hat der Vertrieb dabei?
Ein Onlinekurs ersetzt nicht den Community-Faktor und den Live-Trainer, der die Mitglieder zu ihrem gesteckten Ziel bringt, und macht das Fitnessstudio zu einem Ort, an dem sich Freunde und Bekannte in ihrer Freizeit treffen. Ziel eines jeden Fitnessclubbetreibers muss sein, die Bedürfnisse und Erwartungshaltungen der Zielgruppe zu übertreffen. Des Weiteren gilt es, die Fitnessclubs so attraktiv zu gestalten, dass ein Mitglied die Zeit vermehrt auch außerhalb seines Trainings im Club verbringt. So profitieren Mitglieder inzwischen auch von Co-Working-Spaces, Restaurants und auch Wellness-Oasen im Fitnessclub. Wichtig dabei ist jedoch, dass die einzelnen Mitarbeiter im Fitnessclub den modernen Fitness-Alltag selbst leben und den Club dadurch lebendig machen. Nur so entsteht langfristiges Mitgliederwachstum. Über Apps können sich Interessenten online ein Probetraining sichern, aber auch sich direkt für eine Mitgliedschaft entscheiden. Wer verstehen will, welche Aufgabe der Vertrieb dabei hat, der muss verstehen, dass die Customer-Journey von der Kontaktanfrage zum Fitness-Abo innerhalb der vergangenen Jahre deutlich kleiner geworden ist. Ein Segen für die Teams in den Clubs, die das Handwerk des Vertriebs bereits im Vorfeld erlernt haben. Ein Fluch für die neuen Performer im Club, da denen das Verständnis für die Customer-Journey oft fehlt.
Die Lockdowns haben wir hinter uns, doch jetzt plagt uns die Inflation, die Menschen sparen eher am Fitnessstudio als an anderen Dingen. Wie können Studiobetreiber dennoch neue Mitglieder gewinnen beziehungsweise Mitglieder halten?
Ein Clubmanager in der Fitnessbranche hat nur zwei Prioritäten: erstens, Mitglieder gewinnen; zweitens, Mitglieder halten. So wie ein Zigarettenraucher trotz der Inflation immer noch sein Geld in Zigaretten investiert, so investiert der bewusste Mensch von heute auch in seine Gesundheit. Das Bedürfnis, sich fit zu halten, ist in den letzten Monaten sehr stark angestiegen, so profitieren Fitnessclubbetreiber von den Insolvenzen anderer Fitnessclubbetreiber, aber auch von erneut steigenden Mitgliederzahlen. Ich bin sicher, dass wir ähnlich wie in England auch in Deutschland in den kommenden 24 Monaten weiter stark wachsende Mitgliederzahlen erfahren werden. Wer nicht einen Euro pro Tag für seine Gesundheit und sein Wohlbefinden investieren kann, der konnte es auch vor der Inflation nicht.
Die Menschen sparen, aber auch Studiobetreiber müssen den steigenden Kosten wie Strom und Heizung entgegensteuern. Die Kunst ist, so zu sparen, dass die Mitglieder nicht verschreckt werden, etwa durch Extrakosten. Wie kann man diesen Spagat schaffen?
Korrekt. Vor dieser Herausforderung stehen aktuell viele Studiobetreiber. Eine Beitragsanpassung ist für viele Fitnessclubbetreiber unverhandelbar. Wichtig ist hier jedoch, dass das Mitglied auch dementsprechend informiert wird und der Nutzen für ihn durch sogenannte Draufgaben steigt. Betreiber, die den Beitrag erhöhen, sollten dem Mitglied also möglichst mehr Nutzen gegeben, zum Beispiel die Möglichkeit, einen Tag in der Woche eine weitere Person mit zum Training zu nehmen. In gut laufenden Fitnessclubs, in denen Mitglieder zu Fans gemacht werden, stellt die Beitragsanpassung keine großen Risiken dar. Die Beitragsanpassung ist ein Spiegel zum wahrgenommenen Wert des Mitglieds. Wenn die Kündigungsquote aufgrund von Beitragserhöhung die Fünf-Prozent-Marke übersteigt, dann zeigt dies nur die offensichtlichen Schwachstellen des Fitnessclubs. Nach meiner Erfahrung haben gut geführte Fitnessstudios keine Probleme, den Beitrag angemessen zu erhöhen. Die Qualität der Teams ist die Qualität der Fitnessclubs – und Qualität zahlt sich hier absolut aus.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung in der Fitnessbranche?
Im Gegensatz zu anderen Branchen ist die Fitnessbranche noch sehr langsam in der Digitalisierung. Natürlich gibt es viele Apps für die Mitglieder, in denen die Trainingspläne inzwischen gespeichert sind und auch die Mitgliedschaften werden inzwischen hauptsächlich mit den Tablets geschrieben, dennoch haben wir gerade in Deutschland noch nicht das volle Potenzial der möglichen Digitalisierung genutzt. Im 5.000 Kilometer entfernten Dubai sind beispielsweise Face-ID-Portale zum Check-In bereits im Einsatz. In Deutschland schreitet die Digitalisierung hingegen nur sehr langsam voran. Dabei hat sie klare Vorteile: Durch Webinare kann zum Beispiel die Neumitgliedergewinnung skaliert werden. In einem 60-minütigen Webinars meines Geschäftspartners haben wir 179 neue Mitgliedschaften generiert. Ein Webinar bietet die Möglichkeit für ein Verkaufsgespräch mit mehreren Hundert Teilnehmern. Als Branchenexperte erhalte ich fast täglich Anfragen von Fitnessclubbetreibern zu diesem Thema.
MK
Chris Mewes ist Gründer und CEO von Profit Performance. Er ist seit 20 Jahren in der Fitnessbranche aktiv und bietet hierfür seine Expertise an.