INTERVIEW
Herr Dr. Zitelmann, Sie haben das vielbeachtete Buch „Die Gesellschaft und ihre Reichen“ geschrieben. Wie kamen Sie auf die Idee zum Buch?
Zitelmann: Zwei unterschiedliche Motive: Ärger und wissenschaftliche Neugier. Ärger, weil Reiche die einzige Minderheit sind, über die man öffentlich alles Schlechte sagen darf und kaum Widerspruch befürchten muss. Wissenschaftliche Neugier, weil es zwar Tausende Bücher zu Vorurteilen über andere Minderheiten gibt (Schwarze, Juden, Homosexuelle und Migranten), aber bislang kein großes Werk zu Vorurteilen über Reiche. Deshalb habe ich dieses Buch geschrieben.
Sie bezeichnen die Reichen als Minderheit. Rein faktisch haben Sie damit Recht. Man könnte aber argumentieren, dass Reiche durch ihre Macht in der stärkeren Position sind.
Zitelmann: Reichen geht es gut. Und das ist auch gut so. Wäre es anders, wollte ja keiner mehr reich werden. Aber im 20. Jahrhundert wurden Reiche auch immer wieder vertrieben, verfolgt, ermordet. Denken Sie an die Sowjetunion, wo Hunderttausende Menschen als Kulaken ermordet wurden, denken Sie an die Schreckensherrschaft der Roten Khmer in Kambodscha oder an China zu Maos Zeiten. So schlimm muss es nicht kommen. Aber ich sage: Wehret den Anfängen. Wenn systematisch gegen Reiche gehetzt wird, dann kann das schlimme Folgen haben. Zuerst werden sie sprachlich erniedrigt und als „Kapitalistenschweine“ bezeichnet, später kann das in physische Aggression umschlagen. Die RAF ermordete die Vorstandssprecher der Dresdner Bank und der Deutschen Bank, den Präsidenten des Arbeitgeberverbandes und 1991 ermordete sie den Manager Detlev Rohwedder.
Wo wird denn heute von wem gegen Reiche gehetzt?
Zitelmann: Vor wenigen Wochen demonstrierten Zehntausende in Berlin für die Enteignung privater Immobilieneigentümer. Auf den Plakaten wurden Vermieter als gefährliche „Miethaie“ dargestellt und man konnte lesen: „Miethaie zu Fischstäbchen“. Manche fanden das lustig. Hätten die es auch lustig gefunden, wenn auf Plakaten gestanden hätte: „Macht Türken zu Fischstäbchen“ oder „Macht Schwule zu Fischstäbchen“? Da wäre die Empörung völlig zu Recht groß gewesen. Bei einer anderen Demonstration war auf einem Plakat zu lesen: „Kill your landlord“. Also: Töte deinen Vermieter.
Haben Sie selbst mal Anfeindungen als Reicher erlebt?
Zitelmann: Ich polarisiere. Ich habe viele Fans, die mich bewundern, vor allem junge Leute. Und dann gibt es welche, die mich stark ablehnen. Es gibt ja den Spruch „Perfektion erzeugt Aggression“. Perfekt bin ich nicht, aber ich habe nun mal ein höheres Vermögen als 99 Prozent der Deutschen, gleichzeitig eine bessere Figur als 99 Prozent der Gleichaltrigen und dazu noch zwei Doktortitel – 98 Prozent haben nicht mal einen. Da muss man damit rechnen, dass es neben Bewunderung auch Neid gibt. Das ist für mich auch okay.
Was mich stört: Wenn ich abends den Fernseher anstelle und mir Talkshows anschaue, dass ständig gegen Reiche gehetzt wird, vor allem von Vertretern der Linken, aber auch von der SPD. Da wird beispielsweise pauschal behauptet, Reiche zahlten keine oder zu wenig Steuern. Ich habe meine Steuerberaterin mal gebeten, auszurechnen, was mein Durchschnittssteuersatz – nicht der Grenzsteuersatz – in 15 Jahren war, als ich als Unternehmer sehr gut verdient habe. Wenn man die Unternehmenssteuern und die persönlichen Steuern zusammenzählt, kommt man bei mir auf etwa 50 Prozent. Und da ärgert es mich, so wie andere Reiche auch, wenn dann trotzdem immer wieder pauschal behauptet wird, Reiche seien Steuertrickser. Das glauben übrigens 51 Prozent der Deutschen.
Sie selbst waren nicht immer überzeugter Kapitalist, oder?
Zitelmann: Als Teenager war ich Maoist. Mit 13 Jahren habe ich an meiner Schule eine Rote Zelle gegründet. Später haben sich meine politischen Überzeugungen gewandelt. Ich bin jetzt seit 25 Jahren in der FDP. Kapitalist wurde ich erst sehr spät: Im Alter von 43 Jahren habe ich mein eigenes Unternehmen gegründet. Ich beschreibe das alles ausführlich in meiner Autobiografie „Wenn du nicht mehr brennst, starte neu“.
Reiche, inklusive Sie, sind oft Vermieter. Nun wird in Berlin über Enteignung diskutiert. Geht es den Reichen nun richtig an den Kragen?
Zitelmann: Die aktuelle Enteignungsdebatte zeigt anschaulich die Mechanismen, die wir aus der wissenschaftlichen Vorurteilsforschung kennen und die ich in meinem Buch „Die Gesellschaft und ihre Reichen“ ausführlich beschreibe. Bei Fehlentwicklungen in der Gesellschaft werden Minderheiten oft zu Sündenböcken gemacht. In diesem Fall lief es so: Die Politik hat das Bauen durch übertriebene Vorschriften, zum Beispiel im Ökobereich, immer mehr verteuert und macht Investoren das Leben immer schwerer. Gleichzeitig sind immer mehr Menschen in die Großstädte gezogen, so dass das Angebot hinter der Nachfrage zurückblieb. Dadurch stiegen die Mieten. Und jetzt werden unsinnigerweise genau die Leute, die bauen wollen, also Immobilienunternehmer, als Sündenböcke verantwortlich gemacht. Aber die Attacke auf die Reichen läuft weltweit: In den USA fordern immer mehr führende Demokraten drastische Steuererhöhungen, zum Beispiel von 70 Prozent. In Großbritannien blasen Politiker wie Jeremy Corbyn und John McDonnell von der Labour-Party ins gleiche Horn. In Frankreich attackieren sogenannte Gelbwesten Luxusrestaurants und fordern drastische Vermögensteuern. Der Sozialismus, von dem viele Anfang der 90er-Jahre dachten, er sei historisch erledigt, feiert ein Comeback.
Sehen Sie Lösungsansätze, wie man zwischen Unter- und Mittelschicht und den Reichen vermitteln kann? Ist eine nüchterne Debatte überhaupt denkbar?
Zitelmann: Hier sind vor allem die Reichen selbst gefordert. Ich kritisiere die Reichen, die viel zu defensiv sind. Manche spenden Geld, weil sie denken, damit würden sie beliebter. Das ist naiv. Für mein Buch „Die Gesellschaft und ihre Reichen“ haben wir eine repräsentative Meinungsumfrage in Deutschland, Frankreich, den USA und Großbritannien durchgeführt. Überall zeigte sich: Die Neider lassen sich nicht besänftigen, selbst wenn Reiche wie Bill Gates Milliarden spenden. Die sagen dann: „Der tut das nur für sein Image und um Steuern zu sparen.“ Reiche sollten sich stärker in die öffentliche Diskussion einbringen und vor allem sollten sie nicht so defensiv sein. Nehmen Sie das Beispiel von Friedrich Merz, der für den CDU-Vorsitz kandidiert hatte. Er hat sich falsch verhalten: Erst antwortete er nicht auf die Frage, ob er Millionär sei, dann bejahte er es, fügte aber hinzu, dass er zur Mittelschicht gehöre, was natürlich abwegig ist. Andere Minderheiten bekennen sich offensiver. Denken Sie an den ehemaligen Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, der sagte: „Ich bin schwul, und das ist gut so.“ Warum hat Merz nicht gesagt: „Ich bin Millionär und das ist gut so“? Weil er weiß, wie stark der Sozialneid ist. Aber er hat es durch sein Ausweichen nur schlimmer gemacht. Das ist typisch. Zwar wird es nie gelingen, unbegründete Vorurteile und Stereotype aus der Welt zu schaffen, bei Reichen ebenso wenig wie mit Blick auf andere Minderheiten. Aber andererseits zeigt die Erfahrung, dass Aufklärung manches verändern kann. Wir sind heute in mancher Hinsicht aufgeklärter als die Menschen in der frühen Neuzeit und glauben beispielsweise nicht mehr, dass Hexen für Naturkatastrophen verantwortlich sind. In den vergangenen Jahrzehnten haben viele Minderheiten gelernt, dass sie sich aktiv gegen Vorurteile zur Wehr setzen müssen. In der Folge haben sich Einstellungen zu manchen Minderheiten – beispielsweise zu Homosexuellen – stark verändert. Voraussetzung dafür war jedoch, dass diese Minderheiten den Kampf gegen diese Vorurteile aufgenommen haben.
Bild: Zitelmann