Während der Coronapandemie mussten viele Mitarbeiter ins Homeoffice. Im Jahr 2021 haben laut Statistischem Bundesamt 24,8 Prozent aller Erwerbstätigen von zuhause aus gearbeitet. Inzwischen ist es Unternehmen selbst überlassen, die Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten zu lassen oder ins Büro zurückzuholen. Gerade größere Unternehmen tendieren inzwischen zu Letzterem. Zu Recht, oder wird hier Potenzial bezüglich der Arbeitsleistung verschenkt? Experte Dr. Frederik Hümmeke erklärt in unserem Interview, unter welchen Bedingungen Homeoffice ein Erfolgsmodell ist.
Herr Dr. Hümmeke, Homeoffice war zu Corona-Zeiten eher eine Notlösung – und ist in weiten Teilen geblieben. Welches Resümee könnte man aus Ihrer Sicht nun ziehen?
Corona war für viele Unternehmen eine Art Initialzündung. Man hat gesehen, welche technischen Möglichkeiten es gibt und welche Vorteile es für Unternehmen haben kann. Vor allem war es während der Pandemie eine Notwendigkeit. Dabei hat man aber auf Seiten der Spätzünder vor allem auf die Erfahrungen von Unternehmen geschaut, die schon vorher auf Homeoffice gesetzt haben. Viele haben gedacht, dass man jetzt einfach mal Teams oder Zoom installiert und dann läuft das wie bei denen.
Das waren aber Unternehmen, für die Homeoffice keine Notlösung, sondern eine zukunftsfähige Arbeitsweise darstellt, für die sie sich bewusst entschieden haben und die deshalb ihre Organisation und ihre Prozesse zielgenau auf diese Arbeitsweise ausgerichtet haben. Unternehmen, die ihre Prozesse an diese Methode angepasst haben, profitieren unter anderem von gesteigerter Produktivität, verbesserter Work-Life-Balance und höherer Mitarbeiterzufriedenheit. Auch wenn die Forschungslage differenziert ist, ist für mich klar: Wenn es gut gemacht wird, ist Homeoffice ein Erfolgsmodell.
Einige, vor allem größere Unternehmen, haben ihre Mitarbeiter wieder in die Büros geholt, oder haben es vor. Ist das nachvollziehbar oder verschenktes Potenzial?
Ich halte die Entscheidung, wieder zu alten Arbeitsmodellen zurückzukehren, für fragwürdig. Dahinter steckt aus meiner Sicht möglicherweise auch die Strategie, in Zeiten der Krise Mitarbeiter loszuwerden. Man hofft, dass die am wenigsten motivierten Mitarbeiter die Reduktion der lieb gewonnenen Flexibilität und die Mühe des Pendelns zum Anlass nehmen, von selbst zu gehen. Klar, für diejenigen, die sich im Homeoffice wirklich einen faulen Lenz gemacht haben, ist die Entscheidung wieder ins Büro kommen zu müssen, ein schwerer Schlag. Die sollen sich durch diese Entscheidung sozusagen selbst aussortieren.
Es sortiert aber auch diejenigen aus, die im Homeoffice hervorragende Arbeit geleistet haben. Diese Mitarbeiter will man zwar eigentlich nicht verlieren, aber gerade sie sind wahrscheinlich wesentlich motivierter, sich einen neuen Arbeitgeber zu suchen als die, die sowieso immer den leichtesten Weg gehen und eben nicht kündigen, sondern zähneknirschend wieder ins Büro gehen und dann dort versuchen, möglichst unterzutauchen. In Summe ergibt ein solches Vorgehen nur dann Sinn, wenn man sehr viel Druck hat, viel Personal abzubauen, sodass man bereit ist, diese negativen Effekte in Kauf zu nehmen.
Wenn es nicht darum geht, Mitarbeiter loszuwerden, dann lautet die Diagnose »schlechte Führung« – was in dem Fall gleichbedeutend ist mit »schlechten Prozessen« und dann meist auch verbunden mit »miese Rahmenbedingungen im Homeoffice«. Letzteres meint vorwiegend die technische und ergonomische Ausgestaltung des Arbeitsplatzes. Diese Dinge werden in der Forschung nämlich typischerweise genannt, wenn es um Gründe geht, warum Home Office nicht funktioniert.
»Es ist fast schon lächerlich, wie leistungsfeindlich der moderne Büroalltag aufgebaut ist, der oft längere Konzentrationsphasen gar nicht zulässt …«
– Dr. Frederik Hümmeke –
Inwieweit sollten sich Unternehmen für neue Strukturen öffnen, die eine flexiblere und individuelle Gestaltung des Arbeitslebens zulassen – sofern es zur Tätigkeit passt?
Dass der Dachdecker aufs Dach gehört und der Flugbegleiter ins Flugzeug ist ja klar. Es gibt aber Jobs, für die eine Präsenz im Büro nicht nötig ist, und sogar wegen mieser Großraumbüros oder einer ganz schlechten Meetingkultur teils sogar schädlich für die Produktivität ist. Gerade viele Leistungsträger lieben die Flexibilität und genießen es, von zu Hause im Einklang mit ihrem Biorhythmus ungestört maximal produktiv zu sein. »Komm ins Büro«-Regeln können dafür sorgen, dass Unternehmen diese wichtigen High-Performer wieder verlieren oder gar nicht erst rekrutieren können.
Die Produktivität im Homeoffice hängt maßgeblich von verschiedenen Faktoren ab, darunter die störungsfreie und ergonomische Gestaltung der Arbeitsumgebung, die Selbstführungskompetenzen der Mitarbeiter und die Führungsqualität der Unternehmen inklusive der Kommunikation und Koordination von Aufgaben. Eine gut ausgestattete Arbeitsumgebung, klare Strukturen und eine unterstützende Führung sind entscheidend, um eine hohe Produktivität zu gewährleisten. Dafür muss sich eine Führungskraft aber vor allem als Unterstützer und Ermöglicher definieren und nicht ausschließlich als disziplinarische Kontrollinstanz. Für gute Ergebnisse muss sich also vor allem die Führungskultur ändern und Führungskräfte müssen sich von der Idee verabschieden, alle Mitarbeiter in ein starres Korsett zu zwängen, das nicht zu den individuellen Leistungsphasen des einzelnen Mitarbeiters passen kann.
Viele Heimarbeiter berichten tatsächlich von einer höheren Produktivität. Wie schätzen Sie das ein?
Ich bin davon überzeugt, dass die meisten Mitarbeiter im Homeoffice produktiver arbeiten und zufriedener sind, da sprechen meine eigenen Erfahrungen und die Forschungslage die gleiche Sprache. Wenn Unternehmen gut führen und den richtigen Rahmen schaffen würden, dann wären es nicht nur viele, sondern fast alle Mitarbeiter. Nur sehr wenige Mitarbeiter sollten nicht im Homeoffice arbeiten. Die können dann mit denen, die gern ins Büro gehen wollen, dort arbeiten.
Der entscheidende Hebel für Zufriedenheit und Produktivität ist die optimierte zeitliche Tagesorganisation, die durch Homeoffice möglich wird. Eine Methode, die ich BioTimeBoxing nenne, verspricht eine Verfünffachung der Produktivität. Diese Methode zu nutzen ist aber an den Tagen, an denen ich ins Büro muss, oft gar nicht möglich. Es ist fast schon lächerlich, wie leistungsfeindlich der moderne Büroalltag aufgebaut ist, der oft längere Konzentrationsphasen gar nicht zulässt: Meetingzeiten, feste Pausenzeiten, ständige Gefahr, aus der Konzentration gerissen zu werden. Die Möglichkeit, in seinem eigenen Tempo und in einer ungestörten Umgebung zu arbeiten und im Flow Höchstleistung zu erbringen, ist schon rein praktisch nicht gegeben. Viele kennen diese Produktivphasen von Samstagen, an denen sie schnell noch etwas abarbeiten wollen, und plötzlich in kurzer Zeit eine Wochenleistung erbracht haben.
Die Homeoffice-Pilotphase ist gewissermaßen vollzogen. Gibt es aus Ihrer Sicht nun Bedarf zu verfeinern, etwa bei der Ausstattung oder bei den Remote-Modellen?
Die Homeoffice-Pilotphase hat gezeigt, dass es bereits zahlreiche Tools und Methoden gibt, um eine erfolgreiche Zusammenarbeit im Homeoffice zu ermöglichen. Allerdings werden diese oft noch nicht ausreichend genutzt. Unternehmen sollten verstärkt in die Entwicklung und den Einsatz entsprechender Technologien und Prozesse investieren, um die Zusammenarbeit im virtuellen Raum zu optimieren. Neben dem Bereitstellen der Tools gehört hierzu auch beispielsweise das Training in Online-Meeting-Moderation. Es ist erschreckend, wie viel Zeit in schlecht moderierten Online-Meetings verplempert wird.
Neben den Kommunikationswerkzeugen helfen Kollaborationstools dabei, Arbeit in Aufgaben zu zerlegen, sie zu delegieren und zu koordinieren. Sind beide Tools gut im Unternehmensalltag implementiert und treffen auf ordentliche Führung, dann wird es was mit der Produktivität. Zumindest dann, wenn Unternehmen ihren Mitarbeitern helfen, ein ordentliches Büro zu Hause einzurichten; es muss ein ungestörter und ergonomischer Platz entstehen. Das ist die Grundlage für Produktivität. Ja, es erfordert ein Umdenken und zum Start auch finanzielle Ressourcen. Aber das Invest in die Optimierung wird durch das entstehende Produktivitätsplus schon mittelfristig mehr als ausgeglichen.
MK
Unser Gesprächspartner: Dr. Frederik Hümmeke studierte Wirtschaftswissenschaften, Angewandte Neurowissenschaften und Verhaltens- und Kulturphilosophie. Er ist Unternehmer, Coach und Autor. Er gilt als einer der gefragtesten Business-Coaches Europas.