Angesichts der prognostizierten Inflation von neun bis zehn Prozent in Deutschland bis Ende 2022 fühlen sich viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Jahr merklich ärmer. Doch das gilt nicht für jeden. Während die Gewerkschaften in zahlreichen Branchen und Wirtschaftszweigen mit aller Kraft für Gehaltserhöhungen von sieben bis acht Prozent für bestehende Beschäftigte kämpfen, konnten andere allein durch einen Stellenwechsel Gehaltserhöhungen von bis zu 40 Prozent erzielen.
Viele Wirtschaftsexperten gehen davon aus, dass die Inflation bis weit in das Jahr 2023 hinein auf hohem Niveau bleiben wird. Arbeitnehmer, die bisher noch nicht von einer deutlichen Gehaltserhöhung profitiert haben, werden mit einem weiteren Rückgang ihres Realeinkommens rechnen müssen. Selbst wenn Ihr Einkommen im letzten Jahr um bis zu zehn Prozent gestiegen ist, werden Sie ohne eine baldige weitere Erhöhung ärmer dastehen als noch vor einem Jahr.
Warum nicht einfach nach einer Gehaltserhöhung fragen?
Die gute Nachricht ist: Auch wenn Sie noch nicht in den Genuss einer Gehaltserhöhung auf dem Niveau der aktuellen Inflation gekommen sind, können Sie dies möglicherweise nachholen. Sind Sie in einem der Berufe beziehungsweise in einer der Funktionen tätig, in denen die Gehälter vor allem in der letzten Zeit in die Höhe geschnellt sind, dann brauchen Sie vielleicht nur nachzufragen.
Sollte Ihr derzeitiger Arbeitgeber Ihre Forderung zurückweisen, stehen möglicherweise viele andere Unternehmen Schlange, um Ihnen genau das zu bieten, wonach Sie suchen – sofern Ihre Kompetenzen für die entsprechenden Stellen geeignet sind. Wenn Sie über eine berufliche Neuorientierung nachdenken, könnte daher jetzt der perfekte Zeitpunkt sein, um diese Überlegungen in die Tat umzusetzen. Mit etwas Glück und Geschick können Sie sich neben einer höheren Arbeitszufriedenheit auch eine satte Gehaltserhöhung sichern.
Kann ein Wechsel in den IT-Sektor Ihr Einkommen über die Inflation hinaus in die Höhe befördern?
Ich bin in der IT-Dienstleistungs- und Softwareentwicklungsbranche als Marketingleiter für K&C (Krusche & Company) tätig, einem in München ansässigen Nearshore-IT-Outsourcing-Anbieter. In unserem Sektor haben Softwareentwickler und sonstige gefragte IT-Fachkräfte in den letzten zwölf bis 18 Monaten von einer enormen Gehaltsentwicklung profitieren können. Die Vergütungspakete, die man qualifizierten Bewerbern bieten muss – insbesondere, aber nicht nur, für leitende IT-Positionen – kosten Arbeitgebern wie uns und unseren Endkunden, die unsere Entwicklungsteams letztlich unter Vertrag nehmen, heute oft 30 bis 40 Prozent mehr, als sie bis vor kurzer Zeit noch erwarten konnten.
Es dürfte allgemein bekannt sein, dass Softwareentwickler und andere IT-Fachkräfte in der heutigen Wirtschaftslandschaft zu den Spitzenverdienern zählen. Der Grund dafür ist schlicht das Ergebnis von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt: Derzeit gibt es deutlich mehr offene Stellen als hochqualifizierte Kandidaten, die den jeweiligen Anforderungen gerecht werden. Das bedeutet, dass diejenigen, die für diese Stellen geeignet sind, sich in einer besonders starken Verhandlungsposition befinden. Aus diesem Grund könnte eine zusätzliche Ausbildung zum Softwareentwickler oder einem anderen IT-Berufsbild eine Möglichkeit sein, höhere Verdienstmöglichkeiten zu erschließen. Doch nicht für jeden ist aufgrund seiner Talente und Interessen ein Karriereschritt in den Technologiesektor machbar oder erstrebenswert.
Doch was gibt es sonst für Karrieremöglichkeiten, die selbst in einer schwierigen Wirtschaftslage so gefragt sind, dass ihre Gehälter der Inflation gewachsen sind? Ich habe mich mit verschiedenen aktiven Personalverantwortlichen unterhalten, die den deutschen Arbeitsmarkt aufmerksam beobachten und bestens mit ihm vertraut sind. Ziel war es, herauszufinden, welche Positionen, Berufe und Branchen in den letzten Monaten die größten Gehaltssprünge verzeichnen konnten.
Berufe und Branchen mit starkem Gehaltsanstieg angesichts der aktuellen Inflation
Anna Hallmeier vom Münchner Personalberatungsunternehmen Amadeus Fire erklärt, dass die Arbeitskosten in diesem Jahr generell steigen. Denn Fachkräfte, die ihren Arbeitsplatz wechseln, ebenso wie neue Hochschulabsolventen, die in das Berufsleben eintreten, erhöhen ihre Gehaltsforderungen mit Blick auf die starke Inflation. Bei bestimmten Funktionen und Berufen ist die Gehaltsinflation jedoch besonders hoch. Nach den Erfahrungen von Frau Hallmeier und ihrem Unternehmen haben folgende Berufe besonders stark von Gehaltssteigerungen profitiert: Personal-/HR-Fachkräfte und insbesondere Lohnbuchhalter beziehungsweise Sachbearbeiter, die jetzt je nach Berufserfahrung bis zu 70.000 bis 80.000 Euro verdienen können. Das sind 10.000 bis 15.000 Euro mehr als noch vor zwölf bis 18 Monaten.
Laut Frau Hallmeier erleben Lohnbuchhalter einen besonders starken Gehaltsanstieg, da es an qualifizierten Fachkräften mangelt, die bereit sind, diese Aufgaben zu übernehmen. Lohn- und Gehaltsabrechnungsstellen gelten als weniger flexibel, wenn es darum geht, Urlaub zu nehmen. Denn Unternehmen wie Arbeitnehmer verlassen sich darauf, dass diese jeden Monat für die Gehaltsabrechnung zur Verfügung stehen.
Obwohl Lohnbuchhalter für das Funktionieren von Unternehmen unerlässlich sind, hat dies hat zur Folge, dass sich weniger qualifizierte Fachkräfte auf ausgeschriebene Stellen bewerben. Das bedeutet, dass diejenigen, die sich auf freie Stellen in der Lohn- und Gehaltsabrechnung bewerben und obendrein gut ausgebildet sind, hohe Gehälter aushandeln können. Ein weiterer Bereich, in dem es laut Frau Hallmeier besonders hohe Gehaltssteigerungen gibt, ist der Einkauf. Auch dieser leidet unter einem akuten Mangel an qualifizierten und erfahrenen Fachkräften, weshalb qualifizierte Mitarbeiter im Beschaffungswesen besonders hohe Gehaltssteigerungen fordern können.
Die Konsequenz des Fachkräftemangels: Experte sein lohnt sich
Dr. Neli Petkova von Talent Garden Coaching, einer europaweit tätigen Coaching- und Rekrutierungsagentur aus Berlin, hat sich auf die Zusammenführung von jungen Talenten aus dem IT-Bereich mit passenden Arbeitgebern spezialisiert. Wie K&C erlebt auch sie, dass die Gehaltsforderungen von Tech-Talenten sprunghaft ansteigen und vielfach von Arbeitgebern gedeckt werden, die verzweifelt versuchen, Schlüsselpositionen zu besetzen. Sie stellt fest, dass die Gehaltsforderungen von IT-Experten, die früher in der Regel eine Gehaltserhöhung von zehn bis 15 Prozent anstrebten, jetzt auf über 20 Prozent gestiegen sind.
Ihrer Erfahrung nach gab es im Technologiesektor in den vergangenen ein bis zwei Jahren die höchste Gehaltsinflation von mehr als 30 Prozent in folgenden Bereichen:
- Software-Entwickler
- Projektmanager/Teamleiter
- Programm-Manager – verantwortlich für große Projekte mit mehreren Projektmanagern oder Teamleitern
- UX/CX-Berater
Allerdings stellt sie auch fest, dass deutsche Arbeitgeber beginnen, sich gegen die überzogenen Gehaltsforderungen der am stärksten nachgefragten Fachkräfte, wie Softwareentwickler, zu wehren. Sie habe erlebt, dass Softwareentwickler mit nur vier Jahren Berufserfahrung, was üblicherweise einem mittleren Gehaltsniveau entsprechen würde, bis zu 10.000 Euro netto im Monat verlangen.
Zwar kann dieses Gehalt inzwischen für führende Stellen in der Softwareentwicklung erreicht werden, doch sind deutsche Arbeitgeber in der Regel noch nicht bereit, so viel für weniger qualifizierte Profile zu zahlen. Gelegentlich gehen manche allerdings diesen Schritt – insbesondere wenn sie in Ländern mit vorteilhafteren Steuergesetzen ansässig sind, in denen der Unterschied zwischen Netto- und Bruttolohnkosten deutlich geringer ausfällt. Dies führt laut Dr. Petkova zu einem Engpass auf dem Arbeitsmarkt, da qualifizierte IT-Experten von deutschen Arbeitgebern als zu teuer abgelehnt werden, während diejenigen, die ihren Budgetvorstellungen entsprechen, häufig den Anforderungen nicht gerecht werden. Nach ihrer Beobachtung reagieren einige deutsche Arbeitgeber auf den schwierigen IT-Fachkräftemarkt, indem sie weniger erfahrene Nachwuchskräfte in Junior-Positionen einstellen, die dann intern entsprechend gefördert werden.
Ein gutes Profil zahlt sich aus – auch für Positionen ohne Führungsverantwortung
Constanze Wiedermann verfügt über langjährige Erfahrung auf dem deutschen Arbeitsmarkt, zunächst als Assistentin der Geschäftsführung und später in einer Führungsposition bei Accenture, einem führenden Outsourcing-Unternehmen für professionelle Dienstleistungen. Im Jahr 2009 verließ sie Accenture und gründete das Münchner Unternehmen Südpool Personalkonzepte. Das Coaching- und Personalberatungsunternehmen hat sich auf Assistenz- und Sekretariatsfunktionen spezialisiert, die direkt der Geschäftsleitung unterstellt sind, insbesondere auf der C-Suite-Ebene (CxO oder oberste Management-Ebene).
Frau Wiedermann stellte fest, dass sich die Gehälter von Assistenten der Geschäftsleitung und von sehr erfahrenen und qualifizierten Sekretariatsmitarbeitern in den letzten zwölf bis 18 Monaten stark verändert haben. Sie sagt, dass erfahrene Assistenten der Geschäftsleitung, die relevante Berufserfahrung vorweisen können, bei einem Stellenwechsel problemlos Gehaltserhöhungen von 20 Prozent und sogar bis zu 40 Prozent erzielen können. Wer früher rund 50.000 Euro verdiente, kann heute bequem 70.000 Euro verlangen.
Die einzige Gruppe der Assistenzkräfte, die nach den Erfahrungen von Frau Wiedermann im letzten Jahr keine signifikante Gehaltserhöhung erfahren hat, ist das obere Ende der Gehaltsskala: diejenigen, die bereits zwischen 100.000 und 120.000 Euro verdienen. Frau Wiedermann erklärt dies mit einer psychologischen Barriere für Arbeitgeber, die eine Art Glasdecke um ein solches Gehaltsniveau bildet. Zudem sind Fachkräfte, die ein Gehalt auf diesem Niveau verdienen, weniger vom Anstieg der Lebenshaltungskosten betroffen und daher weniger geneigt, auf eine Erhöhung des Gehalts zu drängen, wenn der Arbeitgeber keinen Inflationsausgleich einleitet.
Ebenso erwartet Frau Wiedermann, dass die Gehaltsinflation nach dem steilen Anstieg im vergangenen Jahr bald wieder abflacht. Vor diesem Hintergrund warnt sie jedoch, dass höhere Gehälter in Bezug auf die Arbeitsplatz- und finanzielle Sicherheit ein zweischneidiges Schwert sein können. Denn mit den Gehältern steigen auch die Erwartungen der Arbeitgeber. Dies macht Arbeitnehmer angreifbarer, wenn ein Unternehmen beschließt, die Kosten zu einem späteren Zeitpunkt zu kürzen.
Je nach Branche variiert die Gehaltsentwicklung stark
Yves Kathirithamby, Geschäftsführer von Southa Partners, einem Unternehmen, das sich auf die Rekrutierung von Vertriebsmitarbeitern spezialisiert hat, sieht die Gehaltserhöhungen für Vertriebsmitarbeiter sehr gemischt. Er stellt fest, dass die Entlohnung von Berufsanfängern im Vertrieb, deren Grundgehälter ohnehin bescheiden sind und die daher auf Provisionen angewiesen sind, um bis zu 20 Prozent gestiegen ist. Er erklärt dies damit, dass sich der Anstieg der Lebenshaltungskosten am unteren Ende der Gehaltsskala am stärksten auswirkt.
Für leitende Vertriebsfunktionen variiert die Gehaltssteigerung dagegen von Branche zu Branche stark. Vertriebsleiter mit relevanter Berufserfahrung im Technologiesektor können bei einem Stellenwechsel 10.000 bis 20.000 Euro mehr Grundgehalt vor Provision einfordern. In anderen Branchen haben leitende Vertriebsmitarbeiter jedoch weniger Erfolg. Hier stagnierte das Gehalt im vergangenen Jahr eher, zumal auch ein Jobwechsel keineswegs immer automatisch ein höheres Gehalt nach sich zieht. Im Bereich der Fertigungsindustrie, einschließlich der Automobilindustrie, ist der Gehaltsanstieg für Vertriebsmitarbeiter am geringsten ausgefallen, so Kathirithamby.
Mit einem Jobwechsel haben Sie die Chance, mehr Geld zu verdienen
Sofern Sie einen der genannten Berufe ausüben und in den letzten zwölf bis 18 Monaten nicht von einer inflationsbedingten Gehaltserhöhung profitiert haben, dann sollten Sie etwas dagegen unternehmen. Trotz ihrer unterschiedlichen Branchen- und Rollenspezialisierung waren sich alle Personalverantwortlichen, mit denen ich gesprochen habe, in einem Punkt einig: Arbeitnehmertreue zahlt sich nicht unbedingt aus. Es gibt einen klaren Trend, dass die größten Gehaltssteigerungen von Fachkräften mit gefragten Qualifikationen und Erfahrungen erzielt werden, wenn sie ihren Arbeitsplatz wechseln.
Wenn Sie sich in Ihrer derzeitigen Position wohlfühlen, aber trotzdem der Meinung sind, dass Sie aufgrund der jüngsten Gehaltserhöhungen mehr verdienen sollten, dann müssen Sie auch nicht zwangsläufig den Arbeitsplatz wechseln, um von einer satten Gehaltserhöhung zu profitieren. Denn unsere Personaler haben festgestellt, dass sich die Arbeitgeber einer Sache zunehmend bewusst werden: Es kostet sie insgesamt mehr, qualifizierte und erfahrene Fachkräfte zu ersetzen, die wegen besserer Angebote abwandern, als diese mit einem deutlich höheren Gehalt zu halten. Das bedeutet, dass die bloße Information eines Arbeitgebers, dass Sie ein anderes Angebot in Erwägung ziehen, ein Gegenangebot zu wesentlich besseren Bedingungen nach sich ziehen kann. Scheuen Sie sich also nicht, den Markt zu beobachten, um herauszufinden, was ein anderer Arbeitgeber für Ihre Qualifikationen zu zahlen bereit wäre.
Und wenn Sie keinen Beruf in einem der hier genannten Tätigkeitsbereiche ausüben, dafür aber vielleicht sogar über eine Umschulung nachdenken, um ein Gehalt über der Inflationsrate zu erzielen, dann sind die hier genannten Bereiche sicherlich eine Überlegung wert.
Der Autor: John Adam ist Marketingleiter bei Krusche & Company, dem in München ansässigen IT-Outsourcing-Anbieter. Als inhaltsorientierter Vermarkter hat er zuvor Erfahrungen als Berater in verschiedenen Branchen gesammelt und war Mitbegründer sowie COO eines Online-Mediums, das 2017 verkauft wurde.
Autorenbild: Foto Sviat