Von Thomas R. Köhler
Der Digitale Wandel betrifft uns alle. Er hinterlässt bereits heute seine Spuren in unser aller Leben. Er ist gleichzeitig Verheißung – ich bin immer online, mein Auto fährt autonom und unfallfrei und gut für das Klima ist Digitalisierung auch noch – und Bedrohung: Was machen wir, wenn was schief geht? und – vor allen Dingen – was ist mit meinem Arbeitsplatz in 5 oder 10 Jahren? Übernimmt meine Aufgaben dann ein Computer?
Wie bei jedem großen technologischen Umbruch entstehen neue Berufe und andere verschwinden, wieder andere Jobs verändern sich grundlegend. Noch nie waren sich Forscher und Fachleute jedoch so uneinig über die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt wie bei der Digitalisierung. Von „wir werden alle arbeitslos“ bis zu „uns gehen die Arbeitskräfte aus“ reicht die Bandbreite der Ergebnisse der Studien und Prognosen – suchen Sie sich einfach das passende raus. Wer sich fundiert informieren will ist schier am Verzweifeln, für den Augenblick scheint es hätten die Untergangspropheten das Ruder übernommen, selbst der US-Star-Unternehmer Elon Musk warnt vor einem zentralen Faktor der Digitalisierung und sieht nur die Arbeitswelt, sondern die Existenz des Menschen in Gefahr. Aber es geht auch eine Nummer kleiner. Die meisten in den letzten Jahren zum Thema erstellten Studien befürchten tatsächlich einen Verlust zahlreicher Arbeitsplätze.
Der Gedanke, dass der Digitale Wandel die Arbeitswelt durcheinanderbringt und zum Verlust von Arbeitsplätzen führt, ist übrigens keinesfalls neu: „Arbeit ohne Zukunft? Organisatorische Konsequenz der wirtschaftlichen Informationsverarbeitung“ lautet etwa der etwas sperrige Titel eines Ende 1997 erschienen Buches an dem auch der Autor dieses Beitrags beteiligt war.
Die darin aufgestellte These, dass der zunehmende Einsatz von Informationstechnologie und die umfassende Vernetzung massive Auswirkungen auf die Arbeitswelt haben, ist heute aktueller denn je.
Nur zur Erinnerung: Anfang bis Mitte der 90iger Jahre waren wesentliche Entwicklungen die heute unser Leben prägen, bereits absehbar. Das Mobiltelefon für jedermann war mit dem D-Netz Realität, ebenso gab es bereits Internetzugänge für Privatleute, wenngleich die ersten Nutzer eher bestaunt oder verlacht wurden und viele Experten noch Ende der 90iger Jahre davon überzeugt waren, das Internet geht wieder weg. „Das Internet wird kein Massenmedium“ verkündete etwa der Zukunftsforscher Matthias Horx noch im Herbst 1999 auf einer Konferenz. Die Unternehmensberatung McKinsey erklärte in den 1980igern sogar, der Bestand an Mobiltelefonen würde zur Jahrtausendwende bei 900Tsd liegen. Tatsächlich waren es zu jenem Zeitpunkt bereits 109 Millionen, und heute kann bereits die Mehrheit der Weltbevölkerung mobil telefonieren – die Zahl der weltweit genutzten Geräte liegt bei mehreren Milliarden, davon bereits ein erheblicher Teil Smartphones.
In unserer Lebenswirklichkeit hat der digitale Wandel bereits Spuren hinterlassen, die erste Welle der Automatisierung ist bereits über uns hinweggefegt, ohne dass es uns wirklich bewusst geworden ist – mit Ausnahme des Gejammers über zu viel Kommunikation, vielleicht. Aber wer bestellt noch nicht im Internet, nutzt kein Whatsapp, welches Unternehmen kommt ohne eMail und Website aus?
Die Auswirkungen auf die Arbeitswelt sind längst da, ob beim Wandel des Einzelhandels oder in der Autofabrik – Automatisierung ist überall. Bisher sind die Auswirkungen hierzulande aber positiv – mit Vollbeschäftigung in weiten Teilen der Bundesrepublik und den Nachbarländern – sind wir weit entfernt von jenen Untergangsszenarien, die in den 90igern diskutiert wurden. Anderswo waren die Auswirkungen deutlicher spürbar, etwa in den Vereinigten wo es jenseits der Küstenregionen und der weltweiten Vorzeigeregion „Silicon Valley“ einen „rust belt“ gibt, vormals industriell geprägte Regionen, die hart vom Wandel getroffen wurden, und deren durch Automatisierung und De-Industrialisierung abgehängte, unzufriedene Arbeiter – überwiegend Männer – wesentlich zum Wahlsieg Donald Trumps beigetragen haben.
Es gibt aber auch in Europa keinen Grund sich zurückzulehnen, denn das, was sich gerade über uns in Sachen Digitalisierung zusammenbraut, könnte erheblich gravierendere Auswirkungen haben, als alles was wir bisher gesehen haben. Die Frage ist, wie wir als Individuum, wie wir als Gesellschaft damit umgehen. Besonders spannend ist die Frage, wer eher unter den Auswirkungen zu leiden hat oder für wen sich neue Chancen auftun. Anders gefragt: Sind Frauen Gewinner oder Verlierer der Digitalisierung? Oben wurde bereits angedeutet, dass die erste Welle der Automatisierung vielfach Männern den Job gekostet hat, sollte es jetzt – im großen „Digitalen Finale“ anders sein?
Um die Auswirkungen der Digitalisierung auf Frauen wie Männer zu verstehen, ist es nötig sich jedes einzelne Berufsbild anzusehen und Abschätzungen zu treffen, mit welcher Wahrscheinlichkeit es verschwindet oder signifikant verändert. Einfache Antworten gibt es – anders als viele Studien signalisieren – jedoch nicht. Betrachtet man etwa Kassenkräfte im Supermarkt oder Lastenwagenfahrer als Berufsbild so stehen beide unter Digitalisierungsdruck. Die überwiegend weiblich besetzte Tätigkeit an der Supermarktkasse fällt – so die Prognosen – dem automatischen Check-Out zum Opfer ebenso wie der selbstfahrende LKW das Berufsbild des LKW-Fahrers obsolet macht. Soweit die Theorie. In der Praxis gibt es aber in Zukunft natürlich noch Arbeit im Supermarkt, genauso wie die Logistikbranche – nur eben andere. Und daran kranken alle Studien, die abwechselnd Männer und Frauen (oder gleich beide Geschlechter) zum Nichtstun verbannt sehen.
Sie verstehen den Wandel nicht und nehmen an, dass ganze Berufe verschwinden. Tatsächlich verschwinden Teile der Aufgaben, überwiegend Routinetätigkeiten, aber – anders als früher – eben auch höherwertigere.
Ein Beispiel dafür ist die Juristerei. Hier haben sich Frauen längst Ihren Platz erarbeitet. „56,9 % der Examenskandidaten für das 2. Juristische Staatsexamen waren weiblichen Geschlechts.“ dokumentiert das Bundesamt für Justiz für das Jahr 2016. Aber was ist, wenn die Digitalisierung im Berufsleben zuschlägt. Längst arbeiten Softwareprogramme in den Hinterzimmern der großen Anwaltskanzleien und durchforsten automatisch Texte und identifizieren wichtige Fragestellungen und juristische Stolpersteine. In einem Leistungsvergleich zwischen 20 erfahrenen Vertragsanwälten mit einer Vertragsanalysesoftware in den Vereinigten Staaten ergab sich kürzlich ein erschütterndes Bild – für den Menschen (https://www.lawgeex.com/AIvsLawyer/)
Die eingesetzte Software arbeitete so genau wie der beste Anwalt der Gruppe und benötigte lediglich eine halbe Minute – im Vergleich zu 90 Minuten die von den (menschlichen) Anwälten verwendet wurde – vernachlässigbar.
Heißt das nun, das wir zukünftig keine Anwältinnen und Anwälte mehr brauchen? Dass wir Frauen (und Männer) nach langem mühsamen Jurastudium zukünftig in die Arbeitslosigkeit schicken?
Nein, so erschreckend diese und vergleichbare Meldungen auch sind, bedeutet dies lediglich, dass sich die Aufgaben verschieben oder konkret im diesem Fall die grundlegende Analysearbeit, die bis heute oft von Junganwälten in nächtelangen Arbeitssitzungen erarbeitet werden mussten und müssen, erleichtert wird und tatsächlich zum Teil verschwindet.
Die Interpretation des Gefundenen, die Gespräche mit dem Mandanten und die Verhandlung mit dem Gegner – und damit ganz konkret die Bedeutung von „Soft Skills“ rückt damit ganz automatisch in den Vordergrund des Anforderungsprofils des „digitalisierten“ Anwaltsberufs und vieler anderer zukünftiger Berufsbilder. Mehr Interaktion, mehr persönliche Ansprache, mehr Emotion. Frauen sind damit automatisch im Vorteil. Soviel steht fest.
Frauen sind aber noch aus weiteren Gründen im Sturm der Veränderung im Vorteil: Sie kommen besser mit Veränderungen klar als Männer und können sich leichter auf neue Situationen einstellen. Aber auch ein dritter – ebenso wichtiger Grund – spricht dafür, dass Frauen die Gewinner der Digitalisierung sind. Dieser liegt in der Automatisierung des „Drum rum“ unserer Lebens- und Arbeitswelt – vom Einstellungsprozess in Unternehmen bis hin zur Digitalisierung unseres Alltags. Je mehr die Personalauswahl und Beförderung automatisiert wird, umso mehr treten Faktoren wie Leistung und Kenntnisse in den Vordergrund. Vorbehalte und Vorurteile gegenüber Geschlecht wie sie vielfach noch bewusst oder unbewusst gepflegt werden spielen keine Rolle mehr. Frauen die heute längst die Mehrheit der Studienanfänger stellen und durchweg bessere Noten in Klausuren und Tests schreiben sind dann nicht mehr zu stoppen. Die viel zitierte „gläserne Decke“ ist dann möglicherweise endlich Geschichte. Damit dies auch durchgängig und nicht nur für einen Teil der weiblichen Bevölkerung wahr werden kann ist ein Blick in die angrenzende private Lebenswirklichkeit hilfreich. Mit gutem Grund klagen viele Frauen über die Hürden die – allen Initiativen von Unternehmen und Verbänden zum Trotz – noch in der Vereinbarkeit von Frauen und Familie liegen. Das Arbeiten von zu Hause, von unterwegs, unabhängig vom Unternehmens- oder Kundenstandort mag man als alten Hut abtun, die Technologie von heute liefert – richtig eingesetzt – bereits zahlreiche Möglichkeiten, die Frauen (und auch Männer) nutzen können um Arbeit und Familie besser zu verzahnen.
Aber auch in der Organisation von privaten Beziehungen und Familie liegen Potentiale versteckt, die sich mit Digitalisierung heben lassen und die mehr Freiraum schaffen und in vielen Fällen auch die Möglichkeit beruflich durchzustarten“. Erste Unternehmen haben hier bereits einen Markt erkannt und so gibt es zum Beispiel erste Apps, die „Ridesharing“ zwischen Eltern vermitteln. Wer fährt heute die Kinder zur Schule, zum Sport oder zum Musikunterricht lässt sich so einfach und nervenschonend familienübergreifend abstimmen und schafft ebenso Spielraum wie die Option, Güter des täglichen Bedarfs und haushaltsnahe Dienstleistungen im Internet zu ordern und zum definierten Zeitpunkt bereitgestellt zu bekommen. Auch dies sind in der Praxis Möglichkeiten, die Frauen wie Männer gleichermaßen nutzen können, aber zukünftig im wesentlichen Vorteile für Frauen schaffen werden.
Digitalisierung hat eine Vielzahl von weiteren Facetten, wenn es etwa um die selbständige Tätigkeit geht. Die eigene Website – am Abend selbst zusammengeklickt. Die Visitenkarte – günstig im Netz bestellt. Die Information zur Branche und den Formalien – im Internet nur einen Mausklick entfernt. Noch nie in der Geschichte war es so einfach und kostengünstig möglich, sich den Traum vom eigenen Unternehmen zu erfüllen, in Teil- oder in Vollzeit.
Aber noch sind Frauen bei der Vergabe von Venturekapital benachteiligt. Spätestens wenn hier der Algorithmus die Bewertung übernimmt, ist auch dieser Nachteil Geschichte. Das digitale Zeitalter verlangt nach vernetztem Denken, nach der Bewältigung vieler Herausforderungen gleichzeitig. Während Männer noch im Tunnel denken sind Frauen oft den entscheidenden Schritt weiter. Sie müssen sich nur trauen. Zeiten des Umbruchs sind Zeiten der Chancen. Es liegt nun an den Frauen, diese auch zu ergreifen!
Über den Autor
Thomas R. Köhler ist Internetnutzer der ersten Stunde, Internetunternehmer und Autor mehrerer Bücher zu Digitalisierungsthemen, darunter „Besser Leben mit Hightech“ und „Die Internetfalle“ (beide FAZ-Buch). Bereits in seinem ersten Unternehmen – einer Internetagentur – hat er die Bedeutung von gelebter Vielfalt für den Unternehmenserfolg erkannt. Sein erster Angestellter war eine Angestellte.
Bild: depositphotos.com/Syda_Productions, privat.