„Schiere Panik!“ So beschreiben Passagiere von Southwest Flug 1380 die Minuten, nachdem im Reiseflug von La Guardia nach Dallas plötzlich das linke Triebwerk buchstäblich explodiert. Teile des Triebwerks reißen ein Loch in den Rumpf der Boeing 737-700, der Unterdruck saugt eine am Fenster sitzende Frau fast vollständig nach draußen. Sauerstoffmasken fallen aus der Decke, es herrscht Chaos und Angst in der Kabine. Die Frau stirbt, sieben weitere Passagiere erleiden Verletzungen. Dass diese unglaubliche Geschichte nicht in einer Katastrophe endete, ist den beiden Piloten zu verdanken, die die schwerbeschädigte Maschine gemeinsam in Pennsylvania notlanden können.
Ein Triebwerksausfall gehört zu den schwierigsten Manövern für uns Piloten. Alle sechs Monate müssen wir dieses Szenario im Flugsimulator trainieren, ein Berufsleben lang. Der plötzliche einseitige Schubverlust bringt das Flugzeug binnen Sekunden in eine Rollbewegung, die zum Absturz führt – wenn da vorne drin nicht ein Team sitzt, das perfekt eingespielt ist und sofort reagiert.
Theoretisch die Handgriffe und Checklisten für diesen Fall zu kennen, ist das Eine. Aber aus eigener Erfahrung weiß ich: wenn von einer auf die andere Sekunde Chaos herrscht und die Maschine abzustürzen droht, braucht es Mut und Selbstvertrauen, um sein Können tatsächlich abzurufen. Plötzliche Veränderungen wirbeln das mentale Bild, die Ordnung, in unserem Gehirn durcheinander. Studien über Abstürze belegen: die Fehlerquote in so einer Situation erhöht sich um das 17-fache! Weil uns in diesem mentalen Durcheinander eine Sache meist abhandenkommt: der Blick für die Prioritäten. „Aviate, navigate, evaluate“ lautet deshalb ein Mantra, das jeder Pilot von der ersten Flugstunde an immer geistig „mit an Bord“ hat: Egal, was passiert, konzentriere Dich einzig und allein darauf, das Flugzeug zu fliegen (aviate). Die Kontrolle zu behalten. Erst dann frage Dich, wohin Du jetzt fliegen möchtest (navigate) und was dafür zu tun ist (evaluate). Wie klar sind Sie sich über Ihre Prioritäten? Was ist Ihr persönliches „Aviate“?
Was wir im Flugsimulator tun, ist deshalb kein Auswendiglernen der Handlungen, sondern ein bewusstes Heraustreten aus der eigenen Komfortzone. Auch für das Unbekannte kann ich mich wappnen. Je öfter ich solche Situationen ohne vorgefertigten Plan B meistere, desto stärker bin ich. Persönliches Wachstum findet immer außerhalb der Komfortzone statt.
Und noch etwas habe ich in den über 8.000 Stunden meines Lebens, die ich in der Luft verbracht habe, gelernt: Scheitern passiert meist als Einzelkämpfer, weil das Teamwork im Cockpit nicht funktioniert hat. Eine sichere Landung unter Extrembedingungen, wie gestern in Pennsylvania, klappt nur gemeinsam.
Zum Autor
Phillip Keil ist Pilot, Buchautor und Speaker.
Bild: Depositphotos/adameq, privat.