Von Frank Stefan Jorga, Co-CEO der WebID
Deutschlands Wirtschaft geht es prächtig. Die Auftragsbücher sind gefüllt. Es herrscht nahezu Vollbeschäftigung, an jeder Ecke scheinen neue Häuser gebaut zu werden und die Unternehmer gründen zahlreiche Gesellschaften. Damit könnten wir zufrieden sein. Doch schauen wir etwas tiefer, sehe ich einen gefährlichen Trend. Wir sind nach wie vor Exportweltmeister, unsere Produkte sind begehrt. Hidden Champions, moderne Maschinenbauer von der Schwäbischen Alb und made in Germany sind Legende. Bei der Digitalisierung aber haben wir den Zug verpasst – und dies betrifft zwei Aspekte.
Zum einen ist es offenkundig, dass nahezu alle wichtigen IT-Dienstleistungen, die wir privat nutzen, von US-Anbietern kommen: Apple, Google, Amazon, Facebook, alle von der amerikanischen Westküste, meist aus Kalifornien. Damit gehen nicht nur Umsätze verloren, sondern bekanntlich auch wertvolle Daten – die einen mindestens ebenso großen geldwerten Vorteil für die Firmen darstellen.
Die zweite Facette des Verschlafens ist ebenso schlimm: Unsere ausgefeilten, zuverlässigen und soliden Produkte haben weltweit den besten Ruf und auch nach wie vor ihren Markt. Sie sind allerdings kaum ans Internet angeschlossen, miteinander vernetzt (wie es das Geheimnis der IT-Größen ist) und auch selten intuitiv oder per App bedienbar, sofern es sich um Geräte für den Endverbraucher handelt. Natürlich liegt dies auch daran, dass sich Hidden Champions vor allem an Industriekunden wenden und manche Produkte eben Nischen bedienen (wo für eine Vernetzung und betriebswirtschaftlich wichtigeSkalierungen der Massenmarkt fehlt). Gleichzeit zeigt dies jedoch, dass die deutsche Wirtschaft an dieser Stelle ziemlich schwach aufgestellt ist. Das muss sich ändern.
Gerade deutsche Internetunternehmer stehen in der Pflicht, mit ihren Technologieprodukten auch solche Masseneffekte zu erreichen. Deutschland ist ein großer und vor allem kaufkräftiger Markt, hinzukommen Österreich und Schweiz, also insgesamt die DACH-Region. Hier müssen Angebote und Dienstleistungen klug eingeführt – und später auf neue Märkte übertragen werden. So haben wir es als WebID und Pionier der Videoidentifikation gemacht: Zuerst haben wir unsere Dienstleistungen in unserem Heimatmarkt etabliert und dann stetig weiter ausgefeilt und ausgebaut. Mit unseren bewährten Produkten gehen wir nun den entgegengesetzten Weg der amerikanischen IT-Giganten –direkt rein ins Silicon Valley, ins Auge des weltweiten Digitalwachstums.
Dabei gilt es, sich natürlich die Erfolgsrezepte anzuschauen, speziell in Kalifornien: Es ist der unbändige Wille, permanent Neues auszuprobieren und die hohe Wechselbereitschaft zwischen den Unternehmen. Ergänzt wird dies durch eine hohe Transparenz in punkto Weitergabe und Austausch an Informationen. Unterm Strichherrscht dort also eine extrem offene, innovationsfreundliche Einstellung und Kultur. Dabei ist das Silicon Valley seit Jahrzehnten so erfolgreich und attraktiv, dass es eben die besten Talente aus aller Welt anzieht.Daneben stimmen dort aber auch andere Rahmenbedingungen: So verbietet ein kalifornisches Arbeitsgesetz seit Jahrzehnten eine „Konkurrenzklausel“. Das heißt, dass jeder Arbeitgeber damit rechnen muss, dass sein IT-Profi im nächsten Monat beim Wettbewerber arbeiten kann – und schafft ihm daher beste Arbeitsbedingungen. Und hier reden wir nicht nur vom Gehalt und auch nicht von kostenlosen Mahlzeiten, sondern eben auch, dass er sich seine Arbeitszeit, seine Arbeitsprozesse, ja oft auch seine Arbeitsinhalte frei gestalten kann bis hin zur Forschung und zu Experimenten. Das Ergebnis sehen wir: fantastische, extrem kundenorientierte Produkte und Dienstleistungen für die gesamte Welt.
Flankiert wird dies alles durch Risikokapital, frei verfügbar und in Mengen. D;och dies ist nicht alles. Venture Capital aufzutreiben, ist auch in Deutschland kein Problem. Schließlich sind hier viele spannende, hochinteressante Firmen beheimatet und mit Milliardenrisikokapital angeschoben worden, vor allem in Berlin. Was jedoch neben dem schieren Geld in Kalifornien hinzukommt, ist das komplette VC-Ökosystem mit Spezialagenturen z. B. für Patente, für Markenanmeldung und selbstverständlich auch die rechtliche Abwicklung. Diese Industrie ist hochspezialisiert und sucht weltweit ihresgleichen. Auch dies muss sich ändern und hierzulande verbessern.
Qualität und made in Germany haben noch immer einen starken Ruf und unsere Wirtschaft floriert. Doch die Erfolgsrezepte der Vergangenheit und Gegenwart müssen wir in die Zukunft tragen – und die ist digital, und obendrein in allen Belangen: bei den Produkten und Dienstleistungen, den Arbeitsprozessen, besonders aber auch beim Verhalten der Kunden, die komplett digital denken. Auf diese Dimension und Konsequenzen sind wir viel zu wenig vorbereitet und so ist ein Kraftakt aller wichtigen Branchen und Markführer notwendig, damit wir auch in einem Jahrzehnt noch Vollbeschäftigung haben und Exportweltmeister sind.
Bild: Pixabay/pexels, WebID Solutions