Kommentar zum möglichen Eintritt von Amazon in den Banking-Markt
Autor: Uwe Krakau, General Manager und Chief Market Officer Germany von Avaloq (www.avaloq.com)
Wird Amazon zur Bank? Das Wall Street Journal hat jedenfalls Anfang März 2018 schon über Gespräche zwischen dem Handelsriesen und etablierten US-Banken wie JPMorgan Chase und Capital One berichtet. Dem Vernehmen nach geht es um ein Girokonto-Angebot für (junge) Amazon-Kunden. Umfragen von Mitte 2017, etwa durch Sopra Steria Consulting, zeigten noch, dass der Großteil der Branche die Bedrohung durch mögliche „GAFA“-Banken sehr gelassen nahm. Was aber, wenn die vier GAFAs – das sind Google (bzw. Alphabet), Apple, Facebook und Amazon – tatsächlich ins Bankgeschäft eintreten würden? Die finanziellen Mittel dafür brächte jeder der modernen Technologiegiganten spielend auf: Apple, Amazon und Google belegen aktuell die Spitzenplätze im weltweiten Marktkapitalisierungs-Ranking, sie sind die drei wertvollsten Unternehmen der Welt.
Der gigantische Kundenstamm als Faktor
Es wäre blauäugig, das Potenzial zu verkennen, das der Markteintritt eines der GAFA-Riesen hätte. Was sie gefährlich macht, ist, dass sie sehr genau wissen, wie man mit Kundendaten umgeht und wie man sie nutzt, um die Kundenbeziehung zu festigen und auszubauen. GAFAs sind schon deswegen potenziell disruptiv, weil ihr Kundenstamm gigantisch ist, erst recht im Vergleich zu Fintechs. Amazon etwa hatte 2016 allein in Deutschland 44 Millionen Kunden, 17 Millionen davon waren Prime-Nutzer. Auch in Asien gibt es Beispiele, die nachdenklich machen. Alipay etwa, das chinesische Online- und Mobile-Bezahlsystem der Alibaba Group, hat heute schon 600 Millionen Kunden – und erschließt mit einer Vielzahl von Apps so gut wie alle Lebensbereiche der Menschen. Alipay führt praktisch auch alle chinesischen Touristen durch Europa; Händler, die Alipay abwickeln können, haben einen entsprechenden Vorteil. Alipay macht vor, wie Marktmacht ausgespielt wird. Zieht Amazon bald nach? Ungeachtet des aktuellen Cambridge Analytica-Skandals um Facebook bleibt es unbestreitbar: Kundendaten sind das Gold der Zukunft. Und die Geschäftsmodelle der Tech-Giganten basieren darauf.
Unangreifbare GAFAs
Der Zugang zum Kunden, seinen Vorlieben, seinen Bedürfnissen und seiner Entscheidungshistorie wird sich im Finanzmarkt der Zukunft als immenser Vorteil erweisen. Vor diesem Hintergrund wirken neue Fintechs und Startups, die zwar digitale Innovationen, aber keine nennenswerte Kundenbasis bieten können, weit weniger bedrohlich. Zumal etablierte Marktteilnehmer auch durch Akquisitionen einen neuen, potenziellen Konkurrenten in ein Asset verwandeln können – wie es etwa die ING-Diba mit Lendico vorgemacht hat. Beim Markteintritt eines GAFA-Riesen existiert diese Option nicht. Im Gegenteil: Apple könnte bereits mit einem Bruchteil seiner Cash-Reserven die Deutsche Bank übernehmen.
Predictive Analytics sind die Zukunft
Ob im Retailbanking oder in der Vermögensberatung: Hier muss das Gold der Zukunft erst noch gehoben werden. Ein Unternehmen wie Google macht vor, was in Sachen Predictive Analytics schon alles möglich ist – inklusive Tracking von Websitebesuchern oder App-Nutzern, bis hin zum Ausspielen zielgerichteter, individualisierter Werbung. Davon sind Banken derzeit noch sehr weit entfernt. Dabei böte eine konsequente Analyse des Kundenverhaltens ganz neue Möglichkeiten, im Massenmarkt genauso wie im Wealth Management oder Private Banking. So gewinnt im Wealth Management derzeit die IT-gestützte Beratung immer mehr an Bedeutung. Und eine Bank wie die UBS beginnt gerade damit, moderne Analyse-Technologie über Anlageportfolios laufen zu lassen – durchaus mit dem Ziel, dadurch auch hochpreisige Anlagen in Zukunft sehr gezielt und bedarfsgerecht anbieten zu können.
Die Bedürfnisse der Klienten verstehen
Den Klienten und seine Bedürfnisse ins Zentrum zu stellen, zu analysieren, was ihm wichtig sein wird, bevor es ihm vielleicht selbst klar ist, und alle Kommunikationskanäle zu unterstützen, die Digital Natives heute als selbstverständlich betrachten, vom Online-Banking über die mobile App bis zum Sprachassistenten – das dürfte in Zukunft über Kundenzufriedenheit, Kundenbindung und Markterfolg entscheiden. Vermutlich noch nicht morgen, aber vielleicht schon übermorgen. Mit einem durchaus kurzfristigen Zeithorizont von ein oder zwei Jahren könnten bereits neue mächtige Player antreten. Die GAFA-Bedrohung ist real. Ob es Wealth Manager, Retail- oder Privatbanken sind: Es ist höchste Zeit, dass sie sich Gedanken um eine konsequente Digitalisierung machen. Wenn sich der Markt nicht auf die Zukunft vorbereitet, wird er für die GAFAs am Ende nur ein noch viel verlockenderes Ziel. Dennoch: Solch ein Markeintritt könnte auch eine Chance bedeuten. Im Idealfall eröffnet sich etablierten Markteilnehmern dadurch vielleicht sogar die Gelegenheit, sich einem neuen Ecosystem anzuschließen, mit neuen Produkten und neuen, weiteren Kanälen. Eine sprachgesteuerte, automatisierte Vermögensberatung per Amazon Echo direkt im Wohnzimmer des neuen Klienten: Warum eigentlich nicht?
Zum Autor
Uwe Krakau verfügt über umfangreiche Erfahrung in der Finanzdienstleistungsbranche. Bei Avaloq (www.avaloq.com) ist er als General Manager Deutschland und Mitglied der Geschäftsleitung tätig. Zu seinen Kernthemen gehören Markt, Wachstum, M&A, Start-ups, Value Proposition und Fintechs. Bevor er 2004 zu Avaloq wechselte, war er 14 Jahre lang hauptsächlich für DAX-Unternehmen in Deutschland tätig. Unter anderem hatte er Managementpositionen beim debis Systemhaus, EADS und BASF inne. Er studierte an der Fachhochschule für Technik Esslingen Wirtschafts-Ingenieur, verfügt über einen Abschluss in Informations-Wissenschaft der Universität Konstanz und hat das Executive Program des Swiss Finance Institute abgeschlossen.
Bilder: Depositphotos/ByLove, rozell, Amazon.com, Apple Inc. Bildmontage by wirtschaft-tv