Bundeskanzler Friedrich Merz hat eine neue Debatte über die Arbeitszeit in Deutschland angestoßen. Ziel ist eine Reform des Arbeitszeitgesetzes, die es ermöglichen soll, statt einer täglichen eine wöchentliche Höchstarbeitszeit festzulegen. Laut dem Koalitionsvertrag der Bundesregierung soll dies mehr Flexibilität schaffen und wirtschaftliche Impulse setzen. Eine Studie des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeitsrecht (HSI) der Hans-Böckler-Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass die geplante Regelung de facto tägliche Arbeitszeiten von über zwölf Stunden erlauben würde – mit erheblichen Risiken für die Gesundheit, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie die Gleichstellung.
Schon jetzt erlaubt das geltende Recht eine Ausweitung der täglichen Arbeitszeit auf bis zu zehn Stunden, sofern ein entsprechender Ausgleich erfolgt. Zudem bestehen zahlreiche branchenspezifische Ausnahmeregelungen. Aus arbeitsmedizinischer Sicht sei die bestehende Begrenzung sinnvoll, da Überstunden über acht Stunden pro Tag nachweislich zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen und einem erhöhten Unfallrisiko führen, teilt das Institut mit. Besonders psychische Erkrankungen wie Erschöpfungszustände oder Burnout nehmen zu.
Die HSI-Forschenden warnen zudem, dass eine wöchentliche statt tägliche Höchstarbeitszeit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter erschweren würde – insbesondere für Frauen. Schon heute arbeite fast jede zweite erwerbstätige Frau in Teilzeit, häufig unfreiwillig.Gleichzeitig zeigen Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), dass das Arbeitsvolumen in Deutschland bereits Höchststände erreicht hat. 2023 betrug das Arbeitszeitvolumen aller Erwerbstätigen rund 61,44 Milliarden Stunden – ein historischer Rekordwert. Die durchschnittliche Jahresarbeitszeit pro Person ist dagegen zurückgegangen, was vor allem auf den Anstieg von Teilzeitarbeit zurückzuführen ist. Die Erwerbsquote von Frauen ist in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen, was maßgeblich zur Steigerung des gesamten Arbeitsvolumens beigetragen hat.
Aus Sicht der HSI-Experten ist nicht eine weitere Verlängerung der Arbeitszeiten der richtige Weg, sondern mehr Einflussmöglichkeiten der Beschäftigten auf die Lage ihrer Arbeitszeit. Der Koalitionsvertrag greife diesen Aspekt allerdings nicht auf, da die konkrete Arbeitszeitverteilung in der Praxis meist durch Arbeitgeber vorgegeben werde. Als zielführendere Maßnahmen nennen die Forschenden den Ausbau der Brückenteilzeit und eine bessere institutionelle Kinderbetreuung.
MK