Deutschlands Autoindustrie taumelt – zwischen regulatorischem Irrsinn, verschlafener Innovationspolitik und wachsender internationaler Konkurrenz. Während China und die USA längst Fakten schaffen, versinkt der Standort Deutschland in Bürokratie, Ideologie und Planlosigkeit.
Die Totgeburt einer Industriepolitik
Einst Weltmarktführer, Technologieexporteur, Wunderwerk der Ingenieurskunst. Namen wie Volkswagen, Mercedes-Benz, BMW standen für deutsche Präzision, Qualität und Innovationskraft. Heute ist davon nicht mehr viel übrig – außer Nostalgie und der wackeligen Hoffnung, der nächste »Technologiezyklus« möge doch bitte gnädiger ausfallen.
Doch die Realität ist brutal: Die deutschen Autobauer haben den Anschluss an die Zukunft sehenden Auges verpasst – und zwar freiwillig. Während Tesla innerhalb weniger Jahre vom belächelten Start-up zum wertvollsten Autokonzern der Welt aufstieg, kämpften die deutschen Hersteller mit halbherzigen Plug-in-Hybriden. Während BYD und andere chinesische E-Auto-Konzerne längst Milliardenumsätze machen, schafft es Volkswagen nicht einmal, ein konkurrenzfähiges Betriebssystem für seine Elektroautos zu liefern – das Prestigeprojekt Cariad gilt intern längst als milliardenschwerer Pannenfall.
Zugleich geht der Strukturwandel nicht spurlos an den Arbeitsplätzen vorbei: Allein 2024 sank die Zahl der Beschäftigten in der Autoindustrie um 4,6 Prozent – von 780.000 auf 744.000. Besonders Zulieferer sind hart getroffen: Dort gingen zehn Prozent der Jobs verloren – das entspricht dem niedrigsten Stand seit 1995.
Was früher Vorsprung durch Technik war, ist heute Rückstand durch Bürokratie
Eine Ladestation für Elektroautos braucht in Deutschland teilweise über 60 Genehmigungen, verteilt auf Dutzende Behörden. Die Genehmigung einer Produktionsstätte in China, so ein VW-Manager, dauere etwa ein halbes Jahr – in Deutschland oft mehrere Jahre. Wer heute eine Batteriefabrik bauen will, muss sich durch ein Dickicht von Vorschriften kämpfen, in dem allein der Umweltbericht mehrere hundert Seiten umfasst – ohne Garantie auf grünes Licht. Welcher rational denkende Mensch lässt sich heute noch auf solch einen Irrsinn ein?
Der EU-Bürokratiewahn tut sein Übriges. So sorgt die neue Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) dafür, dass selbst Mittelständler hunderte Stunden in ESG-Berichte investieren müssen – statt in Innovation. Die geplante Euro-7-Abgasnorm droht dem Verbrennungsmotor früher als vom Markt gefordert den Stecker zu ziehen – mit immensen Kosten für Zulieferer und Hersteller.
Während Peking und Washington Milliarden in strategische Industriepolitik investieren, beschäftigt sich Berlin mit Gender-Formularen, die neuerdings in öffentlichen Förderanträgen die »Diversity-Strategie« eines Unternehmens abfragen und Förderparcours, in denen Unternehmen zwar Gelder aus Fördertöpfen wie der »Klimaschutz-Offensive Mittelstand« oder dem »Bundesprogramm Energieeffizienz in Gebäuden« beantragen können – aber nur, wenn sie bereit sind, sich durch 30-seitige Anträge, Einspruchsfristen und Prüfverfahren zu kämpfen, die jeden Pragmatismus im Keim ersticken.
Das Ergebnis: Der deutsche Staat behindert, wo er fördern will – und überfordert, wo er entlasten müsste.
China: Der neue Motor der Welt
Während in Deutschland jahrelang darüber gestritten wurde, ob E-Mobilität überhaupt der »richtige Weg« sei – oder ob nicht doch synthetische Kraftstoffe irgendwann alles retten könnten –, hat Peking längst geliefert. Ohne Umwege. Ohne Diskussionen. China hat nicht nur Produktionskapazitäten aufgebaut, sondern sie konsequent hochskaliert. BYD betreibt heute über 30 Fabriken für Elektroautos, Batterien und Komponenten, darunter Megawerke in Shenzhen, Xi’an und Changsha. Tesla errichtete seine Gigafactory in Shanghai in weniger als zwölf Monaten – von der Genehmigung bis zur Serienproduktion. Ein Tempo, das in Deutschland illusorisch ist.
Auch bei Rohstoffen ist China längst Weltmacht. Über 70 Prozent der globalen Lithium-Raffinierung, mehr als 60 Prozent der Kobaltbearbeitung und eine dominierende Rolle bei Nickel und Seltenen Erden sichern dem Land eine Schlüsselstellung in der Batterieindustrie. Konzerne wie Ganfeng Lithium oder China Molybdenum sichern sich gezielt Minen in Afrika, Südamerika und Südostasien. In Europa dagegen stecken selbst symbolische Projekte wie Vulcan Energy’s Lithiumwerk in Brandenburg oder Zinnwald Lithium in Sachsen nach wie vor im Planungs- und Prüfungschaos. Der Abbau hat nicht begonnen – der Widerstand aber längst.
Während sich deutsche Autokonzerne in Richtungskämpfen, peinlichen Softwarepannen und Technologiestreitereien verheddern, hat China Marken aufgebaut, die heute weltweit konkurrenzfähig sind. BYD ist inzwischen der größte E-Autohersteller der Welt und hat Tesla beim Absatz in China überholt. XPeng liefert hochautomatisierte Fahrzeuge mit intelligenter Software zu Preisen, die deutsche Entwickler erblassen lassen. NIO betreibt bereits über 2.000 Batteriewechselstationen – während das Konzept in Deutschland nach wie vor als »interessant, aber langfristig« abgetan wird. Und Geely, Eigentümer von Volvo und Polestar, bringt mit Zeekr eine Premium-Elektromarke auf den europäischen Markt, die technologisch hochmodern und preislich aggressiv positioniert ist.
Ein BYD Seal mit über 500 Kilometern Reichweite und solider Ausstattung kostet in China rund 25.000 Euro – ein Preis, von dem ein VW ID.4 oder Mercedes EQB nur träumen können. Der Grund dafür liegt auf der Hand: China produziert nicht nur günstiger, sondern auch schneller, entschlossener und strategisch weitsichtiger. Subventionen werden gezielt eingesetzt, Infrastruktur zentral geplant, Lieferketten staatlich koordiniert und abgesichert. Während Europa noch über Umweltverträglichkeitsprüfungen für potenzielle Lithiumminen diskutiert, kontrolliert China längst die gesamte Wertschöpfungskette – vom Rohstoff bis zum Endprodukt. Europa hingegen liefert Strategiepapiere, Roadmaps und Förderprogramme – vorzugsweise mit Antragsformularen in dreifacher Ausführung.
USA: Markt mit Zöllen – und mit Zukunft
Die USA haben längst erkannt, was auf dem Spiel steht – und handeln. Nicht im Konjunktiv, sondern mit knallharter Industriepolitik. Der Markt wird nicht dem freien Spiel überlassen, sondern gezielt geschützt und strategisch gefördert.
Mit Zöllen von 25 Prozent auf chinesische Elektroautos senden die USA ein klares Signal: Wer verkaufen will, muss hier produzieren. Gleichzeitig lockt der Inflation Reduction Act mit über 370 Milliarden Dollar an Subventionen – darunter 7.500 Dollar Steuergutschrift pro Elektroauto (nur bei lokaler Produktion), 35 Dollar pro kWh Zellproduktion für Hersteller sowie massive Infrastrukturförderung.
Dieser Mix aus Abschottung, Anreizen und Standortbindung funktioniert. Der US-Markt ist für die deutschen Hersteller alternativlos – allein 2023 werden dort über eine Million Fahrzeuge von VW, BMW und Mercedes verkauft.
Die deutschen Konzerne ziehen die Konsequenzen:
- Mercedes-Benz investiert eine Milliarde Dollar in das Werk Tuscaloosa, inklusive einer neuen Batteriefabrik.
- BMW steckt 1,7 Milliarden Dollar in Spartanburg, wo bis 2030 sechs E-Modelle pro Jahr produziert werden sollen.
- VW baut den ID.4 in Chattanooga – und prüft neue Zellfabriken in Nordamerika.
Das ist keine Expansion mehr – das ist strategische Verlagerung.
Standort Deutschland? Ein wachsender Kostenfaktor, gegenüber Investoren immer schwerer zu rechtfertigen. Während Berlin grüne Industriepolitik plant, liefern die USA: »Build here – sell here – get paid here«. Und die deutschen Hersteller? Folgen – aus wirtschaftlicher Notwendigkeit.
Standort Deutschland: Ein Land stranguliert sich selbst
Deutschland ist teuer. Zu teuer. Wer hierzulande industriell produzieren will, steht unter Dauerbeschuss – von allen Seiten. Energiepreise auf Rekordniveau, Lohnkosten im internationalen Spitzenfeld, eine Steuer- und Abgabenlast weit über dem OECD-Durchschnitt. Und dazu eine politische Führung, die in ihrer Parallelwelt der Ideale und Leitplanken agiert – während die Realwirtschaft kollabiert.
Einige Zahlen zur Erinnerung:
- Die Industriestrompreise in Deutschland liegen 2023 bei durchschnittlich 22 Cent pro Kilowattstunde – mehr als doppelt so hoch wie in den USA (~10 ct/kWh) und weit über dem EU-Durchschnitt.
- Die Lohnnebenkosten klettern auf über 40 Prozent, während gleichzeitig ein massiver Fachkräftemangel herrscht.
- Die Gesamtsteuerbelastung für Kapitalgesellschaften liegt in Deutschland bei über 30 Prozent – in Irland bei 12,5 Prozent, in den USA je nach Bundesstaat teilweise unter 25 Prozent.
Und während die Unternehmen ums Überleben kämpfen, beschäftigt sich die Politik mit ideologischen Projekten. Ein Beispiel?
Das Gesetz zur Sorgfaltspflicht in Lieferketten (LkSG), das Unternehmen ab 2023 verpflichtet, in jeder Vorstufe der Lieferkette menschenrechtliche Risiken zu prüfen – und das bei globalen Zuliefernetzwerken mit teils tausenden Komponenten. Praktisch nicht umsetzbar. Rechtlich hoch riskant. Bürokratisch ein Alptraum.
Oder die Gebäudeeffizienz-Verordnung, die Investoren aus der Industrie davon abhält, überhaupt neue Produktionsstätten zu planen – weil sie nicht wissen, ob sie in fünf Jahren noch die gleichen Heizsysteme, Energiequellen oder Bauvorschriften nutzen dürfen.
Oder der Flickenteppich von Umwelt-, Sozial-, Energie- und Steuerauflagen, der jede strategische Industrieentwicklung lähmt. Wer in Deutschland eine Fabrik bauen will, braucht nicht nur Investoren, sondern auch Geduld, Rechtsberatung und gute Nerven.
Die Folge: Wer ökonomisch denkt, produziert woanders. Wer strategisch denkt, verlagert seinen Firmensitz.
Linde zeigt, wie es geht
Linde macht es vor: 2023 verlegte der Industriegasriese Linde plc seinen juristischen Sitz von Großbritannien – und ursprünglich Deutschland – nach Irland.
Der offizielle Grund: »Strukturvereinfachung« und bessere Börsenkompatibilität mit den USA. Der wahre Grund:
- Niedrigere Unternehmenssteuern
- Weniger Regulierung
- Ein unternehmerfreundliches Umfeld Die Börse feierte den Schritt – der Aktienkurs stieg.
Und die deutschen Wirtschaftspolitiker? Hielten sich mit Kritik zurück. Zu offensichtlich war, dass Linde mit dem Wechsel nur das tat, was viele vermuteten: sich aus der Umklammerung deutscher Bürokratie und Steuerpolitik zu befreien.
Was Linde kann, können andere auch. Und sie werden es tun. Nicht aus Lust. Sondern aus Not.
Die Frage ist längst nicht mehr ob – sondern nur noch wann.
Der Exodus: Unternehmen ziehen die Reißleine
Die deutsche Industrie stimmt mit den Füßen ab. Der Arbeitsplatzabbau ist nicht nur eine Folge geopolitischer Standortentscheidungen, sondern auch des technologischen Wandels. Der Wandel hin zu Elektromobilität und Digitalisierung lässt viele klassische Arbeitsplätze verschwinden – ein Trend, der laut VDA schon länger bekannt war, nun aber schneller und stärker als erwartet eintritt. Die Unternehmen versuchen zwar, den Wandel sozialverträglich zu gestalten – aber die aktuellen Zahlen gehen weit über das erwartete Maß hinaus. Volkswagen, Bosch und ZF Friedrichshafen haben bereits massive Stellenkürzungen angekündigt – bei VW soll jede vierte Stelle in Deutschland gestrichen werden. Die Abhängigkeit der Zulieferketten wirkt hier wie ein Dominoeffekt: Wenn der OEM spart, gerät das ganze System ins Wanken. Für viele kleinere Betriebe droht die Insolvenz. Und die Füße stehen längst auf fremdem Boden. Investitionen fließen nicht mehr nach Sindelfingen, Zwickau oder Kassel – sie fließen nach Spartanburg, Shanghai, Greensboro, Debrecen oder Mexiko-Stadt. BMW, Audi, Mercedes-Benz und Volkswagen bauen ihre Produktionskapazitäten im Ausland aus – nicht mehr als Ergänzung, sondern als Ersatz.
BMW investiert rund zwei Milliarden US-Dollar in sein Werk im US-amerikanischen Spartanburg, wo künftig Elektro-SUVs gebaut und ein eigenes Batteriemontagezentrum inklusive Zellfertigung ab 2026 betrieben werden sollen. Parallel entsteht in Debrecen (Ungarn) eine neue „iFactory“ – vollautomatisiert, CO₂-neutral, ohne Tarifbindung. Mercedes-Benz errichtet im polnischen Jawor ein Werk für elektrische Antriebssysteme – für Fahrzeuge, die später in Alabama produziert und in die USA exportiert werden. Gleichzeitig fließt kaum noch Kapital ins Stammwerk Sindelfingen. Volkswagen prüft den Bau einer eigenen Batteriezellfabrik in Kanada, nachdem die Bedingungen in Deutschland – allen voran Energiepreise und Genehmigungszeiten – als „nicht wettbewerbsfähig“ eingestuft wurden. Audi wiederum verlagert Teile seiner E-Auto-Produktion nach Mexiko: Das Werk in San José Chiapa wird ausgebaut und für die neue E-Architektur umgerüstet.
Diese Abwanderung ist kein theoretisches Zukunftsszenario – sie ist längst Realität. Und sie wird sich beschleunigen. Denn die Zukunft dieser Unternehmen liegt dort, wo man arbeiten kann, ohne von regulatorischen Fesseln stranguliert zu werden. Wo man bauen kann, ohne jedes Projekt durch einen Genehmigungstango mit sieben Behörden – von Bau- und Umweltamt über Gewerbeaufsicht bis hin zum Naturschutzbund – schleifen zu müssen. Und wo man investieren kann, ohne für jeden Euro Gewinn 30 Prozent Zwangsabgabe an den deutschen Fiskus zahlen zu müssen.
Die Realität
In China steht eine neue Autofabrik innerhalb von sechs bis neun Monaten – genehmigt, gebaut und betriebsbereit. In Deutschland dauert allein die Umweltverträglichkeitsprüfung so lange – wenn sie nicht durch Bürgerinitiativen oder Klagen gleich ganz gestoppt wird. In den USA winken Milliardensubventionen für jeden, der vor Ort produziert. In Deutschland dagegen warten Strompreisaufschläge, CO₂-Zertifikate und ein Berg an Berichtspflichten. Das alles ist nicht naturgegeben oder „strukturell bedingt“ – es ist politisch gemacht. Und es ist längst ökonomischer Selbstmord auf Raten.
»Made in Germany« war einmal ein Qualitätsversprechen. Bald ist es nur noch ein Aufkleber für einen schrumpfenden Heimatmarkt – und selbst da nicht mehr lange. Denn wer nicht mehr produziert, hat auch nichts mehr aufzukleben.
Immobilienblase in Wolfsburg, Stuttgart und Co. – der Knall kommt
Was bedeutet dieser Exodus für die Regionen, die seit Jahrzehnten am Tropf der Automobilindustrie hängen? In einem Wort: Verwüstung. Die deutsche Automobilwirtschaft ist keine Branche wie jede andere – sie ist das Fundament ganzer Städte, Regionen und Immobilienmärkte. Und wenn dieses Fundament bröckelt, bricht alles zusammen. Der Beschäftigungsrückgang bringt nicht nur wirtschaftliche Folgen, sondern bedroht ganze regionale Strukturen. Städte wie Wolfsburg, Stuttgart oder Ingolstadt, in denen zehntausende Existenzen direkt oder indirekt von der Autoindustrie abhängen, geraten unter Druck – mit Folgen für den Immobilienmarkt, die kommunalen Haushalte und den sozialen Zusammenhalt.
Die Region Stuttgart ist das industrielle Rückgrat Baden-Württembergs – und hochgradig abhängig von Daimler, Porsche und ihren zahlreichen Zulieferern. Über 240.000 Arbeitsplätze hängen laut der IHK Region Stuttgart direkt oder indirekt an der Autoindustrie. Namen wie Mahle, Bosch, ElringKlinger, Leoni, Eberspächer oder ZF Friedrichshafen prägen das wirtschaftliche Gefüge. Doch dieses Zuliefernetzwerk ist ein fein austariertes System – es lebt davon, dass in Sindelfingen, Untertürkheim und Zuffenhausen produziert wird. Wird dort weniger gebaut oder verlagern sich Produktionslinien ins Ausland, reißen diese Ketten – und mit ihnen die wirtschaftliche Stabilität der gesamten Region.
Wolfsburg ist Volkswagen. Und Volkswagen ist Wolfsburg. Rund 120.000 Menschen leben in der Stadt, mehr als die Hälfte davon arbeitet direkt oder indirekt für den Konzern. Doch die Zukunft von VW spielt sich längst woanders ab. Das einstige Prestigeprojekt „Trinity“ – eine neue E-Auto-Plattform – wurde eingefroren, verschoben und de facto abgewandert. Milliardeninvestitionen fließen stattdessen in das chinesische Joint Venture mit JAC, in nordamerikanische Werke oder in Softwarezentren in München und Valencia. Die Werke in Emden und Zwickau erhalten zwar neue Modelle, doch Wolfsburg verliert zunehmend an Bedeutung, vor allem bei der Schlüsseltechnologie. Die Innenstadt, einst durch gut bezahlte VW-Gehälter belebt, kämpft bereits heute mit zunehmenden Leerständen, sinkender Kaufkraft und einem schleichenden Bedeutungsverlust. Die Folgen einer weiter sinkenden Nachfrage zeichnen sich jetzt schon auf dem Gewerbeimmobilienmarkt ab.
Auch in Ingolstadt verdunkelt sich der Horizont. Audi hat die Stadt geprägt, doch ob Audi selbst langfristig an diesem Standort festhält, ist fraglich. Die Produktion des ursprünglich für Ingolstadt geplanten Q6 e-tron verzögert sich massiv – unter anderem wegen Softwareproblemen beim Konzerntochter Cariad. Parallel dazu verlagert Audi immer mehr Modelle ins Ausland: nach Mexiko, nach Ungarn, und bald auch nach China. Die Zulieferer der Region – vom Karosseriebauer bis zum Automatisierungsspezialisten – spüren die Auswirkungen bereits heute: Aufträge brechen weg, Investitionen werden zurückgestellt.
Das Problem ist hausgemacht: Diese Städte haben sich über Jahrzehnte auf die scheinbar ewige Stabilität ihrer Ankerkonzerne verlassen. Doch das nächste Jahrzehnt wird genau diese Abhängigkeit bestrafen – mit aller Härte.
Kollaps mit Ansage: Politischer Irrsinn steht auf tönernen Füßen
Die Automobilindustrie ist nicht irgendeine Branche. Sie ist die tragende Säule des deutschen Sozialstaats – fiskalisch, arbeitsmarktpolitisch und psychologisch. Mehr als sieben Prozent der gesamten deutschen Wirtschaftsleistung hängen direkt oder indirekt von ihr ab. Die Branche beschäftigt rund 800.000 Menschen und zahlt jährlich über 70 Milliarden Euro an Steuern und Abgaben – über Körperschaftsteuer, Einkommensteuer, Sozialversicherungsbeiträge und Kfz-Steuer. Hinzu kommen weitere Milliarden aus den Zuliefernetzwerken, dem Handel und verschiedensten Dienstleistungen rund ums Fahrzeug.
Allein Volkswagen zahlte im Jahr 2022 weltweit rund sechs Milliarden Euro an direkten Steuern – ein Großteil davon in Deutschland. BMW lag bei über drei Milliarden, Mercedes-Benz bei rund vier. Dazu kommen zweistellige Milliardenbeträge an Lohnsteuer und Sozialabgaben der Beschäftigten. Ohne dieses Geld wäre kein Bundeshaushalt solide, kein kommunales Kita-Programm finanzierbar, keine Pendlerpauschale haltbar, keine Rentenerhöhung politisch durchsetzbar. Die Wahrheit ist: Die Autoindustrie subventioniert Deutschland – nicht umgekehrt.
Und genau hier liegt der wunde Punkt: Kippt diese Branche, kippt das gesamte Umverteilungsmodell. Kostenlose Kitas? Nur realisierbar, wenn die Kommunen ausreichend Gewerbesteuer einnehmen – die vor allem von Autobauern und ihren Zulieferern stammt. Die Förderung von Wärmepumpen? Kostet jährlich 16 bis 18 Milliarden Euro – finanziert aus der Steuerkraft einer Industrie, die selbst kaum noch investiert. E-Auto-Prämien? Ohne Einnahmen aus Fahrzeugverkäufen und Kfz-Steuern schlicht nicht bezahlbar. Bürgergeld im XXL-Format? Schon heute ein Fass ohne Boden – und bald ohne Deckel, wenn die Konjunktur einbricht.
Trotzdem inszeniert die Politik weiterhin einen sozial-ökologischen Umbau auf Pump – ohne belastbare Gegenfinanzierung, aber mit viel moralischer Hybris. Das kann nicht funktionieren. Deutschland lebt, salopp gesagt, vom Geld der Autoindustrie. Diese Industrie ist der stille Kreditgeber für ein politisches System, das sich zunehmend von wirtschaftlichen Grundlagen entkoppelt.
Und was passiert, wenn dieser Kredit ausfällt? Dann wird aus dem viel beschworenen »Jahrzehnt der Transformation« ein Jahrzehnt der Streichungen, Kürzungen und gebrochenen Versprechen. Förderprogramme verschwinden. Politische Zusagen werden einkassiert. Und das kollektive Erwachen wird hart – vor allem für jene, die glaubten, Wohlstand sei ein garantiertes Grundrecht.
Fazit: Die Zukunft findet woanders statt
Während Deutschland diskutiert, verlagern andere. Während Berlin berät, bauen die USA neue Fabriken. Während Brüssel reguliert, liefert China – in Stückzahlen, in Geschwindigkeit, in Qualität. Die Beispiele dafür sind unübersehbar. Tesla errichtet in Texas eine neue Gigafactory, Produktionsstart nach nur 18 Monaten – ein Zeitraum, in dem in Grünheide gerade einmal das Genehmigungsverfahren abgeschlossen wurde. BYD plant in Ungarn ein Werk für 200.000 Fahrzeuge pro Jahr – mitten in der EU, aber bewusst außerhalb deutscher Regulierungsstrukturen. Die USA verteilen über den Inflation Reduction Act Milliarden an alle, die vor Ort bauen – während deutsche Unternehmen auf Bewilligungen warten, die oft Jahre brauchen. Selbst Volkswagen, einst Nationalstolz, investiert inzwischen mehr in Nordamerika als in Niedersachsen – ein stilles Eingeständnis, dass der Standort Deutschland zur Hypothek geworden ist.
Die Zukunft der Autoindustrie – und damit ein großes Stück deutscher Zukunft – findet nicht mehr in Deutschland statt. Sie findet in Asien statt. Sie findet in Nordamerika statt. Sie findet überall dort statt, wo wirtschaftliches Denken noch möglich ist – und nicht durch ideologische Planwirtschaft ersetzt wurde. Wer unternehmerisch denkt, zieht längst Konsequenzen. BMW baut in Ungarn, Mercedes in Alabama, VW in Kanada. Bosch investiert Milliarden in Softwarezentren in Indien, Rumänien und China – nicht in Baden-Württemberg. Auch Zulieferer verlagern Forschung, Produktion und Know-how – Schritt für Schritt, aber konsequent.
Und wer privat denkt, zieht ebenfalls Konsequenzen. Wer heute Immobilien in Wolfsburg, Ingolstadt oder Sindelfingen verkauft, tut dies mit kühlem Blick auf das, was kommt. Wer in Unternehmen oder Aktien investiert, fragt nicht mehr nach Deutschland, sondern nach Standort, Subventionen und Skalierungspotenzial.
Nur wer politisch denkt, verdrängt weiter. In Berlin feiert man sich für Innovationscluster, die ohne Investoren und Industrie auskommen sollen. In Brüssel diskutiert man über neue CO₂-Strafen für Plug-in-Hybride – während China seine Plug-in-Flotte verdoppelt. Und in deutschen Talkshows geht es um Tempolimits, Wärmepumpen und soziale Gerechtigkeit – während anderswo über Marktanteile, Technologieoffensiven und Lieferketten entschieden wird.
Doch wer weiter verdrängt, wird überrollt. Nicht vom Geländewagen, sondern vom Realitätsschock einer verpassten Zeitenwende. Ein Schock, der nicht irgendwann kommt. Sondern jetzt.
Der Autor:
Matthias Weik befasst sich seit über zwei Jahrzehnten mit dem Thema Finanzen und ist Experte für Exitstrategien. Er zählt seit Jahren, mit sechs Bestsellern in Folge, zu den verlässlichsten Bestseller-Autoren im Bereich Wirtschaft und Finanzen.
Beitragsbilder: Penguin Random House (Kay Blaschke), Depositphotos / RainerPlendl