Frau Prof. Dr. Lergenmüller, jeder vierte Deutsche ist von Altersarmut bedroht. Woran liegt das?
Altersarmut ist ein ganz wichtiges Thema für viele Deutsche. Aber es wird nicht darüber geredet. Altersarmut wird totgeschwiegen in Deutschland. Überhaupt über Geld zu reden, ist bei uns einfach verpönt. So viele Deutsche rechnen nicht mal aus, wie viel Rente sie bekommen werden und was ihnen fehlt, um den gewohnten Lebensstandard im Alter beibehalten zu können. Nicht hinschauen ist der Hauptgrund für die Altersarmut.
Manchmal wird noch eine private Zusatzversicherung abgeschlossen. Aber das reicht oft auch nicht, weil miserable Renditen erzielt werden.
Vielen Leuten ist klar, dass man mit Aktien hervorragende Renditen erwirtschaften kann. Dennoch zeigen Studien, dass der durchschnittliche Anleger in 90 Prozent der Fälle schlechter investiert als der Markt. Was können solche Anleger tun, um bessere Renditen als der Markt zu erzielen?
Um mehr als sechs bis acht an Rendite zu erzielen, müssten die Anleger endlich beginnen, die Verantwortung für ihr Geld und ihr Vermögen selbst zu übernehmen. Die Anleger müssten definitiv beginnen, viel stärker direkt in Aktien zu investieren.
Denn Investments in ETFs und in Fonds sind nicht die Lösung. Diese Instrumente gelten als »sicher«. Aber sie sind nicht sicherer als Aktien, weil sie genauso schwanken wie die Märkte auch. Aber die Rendite ist definitiv unattraktiv, sechs bis acht Prozent sind zu wenig, um richtig Vermögen aufzubauen. Mindestens die doppelte Rendite würde der Anleger mit Direktinvestments in Aktien erzielen. Investoren wie Warren Buffett machen das doch vor: Er erzielt mit seinem Unternehmen Berkshire Hathaway seit 1965 eine durchschnittliche jährliche Rendite von 20 Prozent.
500 Euro monatlich in die Aktie von Warren Buffett investiert, brachte in 20 Jahren 1,2 Millionen Euro. 500 Euro monatlich in einen ETF investiert, bringt in 20 Jahren 255.000 Euro.
Wer in Aktien investiert, kann das Geld auch verlieren. Welche typischen Fehler unterlaufen Einsteigern in den Aktienmarkt und wie lassen sich Verluste zukünftig vermeiden?
Der typischste Fehler von Einsteigern auf dem Aktienmarkt ist das ständige Kaufen und Verkaufen. Die Anleger denken, sie müssten ständig agieren. Genau das Gegenteil ist erfolgreich. Aktien von guten Unternehmen kaufen und behalten, auch wenn der Kurs der Aktie mal fällt. Genauso machen das gute Investoren und erzielen so starke Renditen. Auch ich mache das so und habe so mein Vermögen aufgebaut. Was die meisten Anleger nicht verstehen, ist, dass viele Faktoren, wie Inflation, Zinsen, Arbeitslosenquote, politische Entscheidungen, Gerüchte, etc. nur kurzfristig auf die Aktienkurse Einfluss nehmen. Langfristig bestimmen nur die Gewinne eines Unternehmens die Kurse. Und das macht das Investieren so einfach. Nur auf das Unternehmen schauen und ruhig bleiben. Und wenn die Kurse fallen, dann gute Unternehmen zu einem noch günstigeren Preis nachkaufen. Diese einfache Grundregel wird meistens missachtet und das ist der größte Fehler von Anlegern.
Für wen eignet sich diese Form der Geldanlage eigentlich?
In Aktien zu investieren eignet sich für alle, für Privatanleger, Selbständige, Unternehmer – für alle. Die Aktie ist doch ein wunderbares Instrument, um sich am Produktivvermögen der Wirtschaft zu beteiligen. Jeder und wirklich jeder kann sich ein kleines Stück vom großen Kuchen eines Unternehmens kaufen. Schon mit 50 Euro kann man sich eine Aktie und damit einen Teil eines Unternehmens kaufen. Dann arbeiten dort großartige Leute für mich als Aktionär, sie denken sich tolle Produkte oder Dienstleistungen aus, sie überlegen, was die beste Strategie im Markt ist, sie stehen im Wettbewerb und bewähren sich jeden Tag. Und der Anleger muss gar nichts machen und hat dazu noch die Chance, sich ein kleines Stück davon abzuschneiden, vom Erfolg der anderen. Warum also den Kapitalismus verdammen, wenn es doch für jeden möglich ist, sich zu beteiligen mit dem großartigen Instrument der Aktie?
Welche Voraussetzungen – also wie viel Startkapital und wie viel Vorwissen – braucht es?
Wie ich schon gesagt habe, mit 50 Euro kann man sich schon die erste Aktie kaufen. Einfach beginnen, das ist das Wichtigste. Man lernt das Investieren nur, wenn man es auch macht. Es nutzt nichts, viel zu lesen, Videos zu schauen, theoretische Seminare zu besuchen oder gar Wirtschaft zu studieren. Man muss beginnen. Und am Anfang ist es gut, wenn man jemanden hat, der dafür sorgt, dass man nicht die typischen Fehler macht. Es ist wichtig zu lernen, strategisch zu denken und strategisch in Aktien zu investieren. Investieren ist wie Fahrrad fahren, man steigt aufs Fahrrad und beginnt, zu fahren. Und am Anfang ist es gut, wenn jemand dabei ist und ein bisschen stabilisiert und hilft, dass man nicht dauernd auf die Nase fällt.
Gibt es einen perfekten Zeitpunkt für den Einstieg in den Aktienmarkt – und falls ja: Welche Kriterien sollten dafür erfüllt sein?
Der perfekte Zeitpunkt für den Einstieg in den Aktienmarkt ist immer JETZT. Es gibt zu jedem Zeitpunkt großartige Unternehmen, in die man investieren kann. Immer wieder tun sich Chancen auf. Wenn die Kurse steigen, zeigt sich, welche Unternehmen am schnellsten wachsen. Wenn die Kurse fallen, gibt es günstige Gelegenheiten, die Aktien großartiger Unternehmen zu einem günstigen Preis zu kaufen.
Sie beschäftigen sich seit über 20 Jahren mit Aktien. Was war Ihre schlechteste Anlageentscheidung und was haben Sie daraus gelernt?
Meine schlechteste Entscheidung war, nicht in Aktien investiert zu sein. Ich bereue am meisten, dass ich einige Jahre meines Lebens nicht in Aktien investiert war. Ich trauere nicht den Verlusten nach, die ich mal mit der einen oder anderen Aktie gemacht habe. Aber ich trauere den verpassten Chancen nach.
Wie sollten Privatanleger vorgehen, die in Aktien investieren möchten?
Heute noch die erste Aktie kaufen! Einfach ein Depot eröffnen, wenn man noch kein Depot hat. Und dann fühlen und erfahren, wie es ist, ein Investor oder eine Investorin zu sein. Als Aktionär oder Aktionärin muss man nicht mehr zu den vermeintlich »Großen« aufschauen. Man gehört dazu. Und die Herren und Damen Vorstände und Aufsichtsräte sind doch dann meine Angestellten. Die kann ich als Aktionär, beziehungsweise Aktionärin jederzeit entlassen. Wie toll ist das denn?
Unsere Gesprächspartnerin:
Prof. Dr. Karina Lergenmüller ist Autorin und Professorin für Wirtschaft. Darüber hinaus ist sie Finanzexpertin für Selbstständige und Privatpersonen. In Seminaren und Coachings erläutert sie ihre Finanzkonzepte an praxisnahen Beispielen.
Beitragsbilder: Dustin Gehrmann
AS (L)