Nach dem mehrheitlichen „Nein“ der griechischen Bevölkerung beim Referendum kommentieren der Präsident des IfW, Prof. Dennis J. Snower, und der Leiter des Prognosezentrums, Prof. Stefan Kooths, die Situation:
Prof. Dennis J. Snower, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft:
Weckruf für alle Euro-Länder
Dieses „Nein“ ist hoch gefährlich. Es besteht nun die große Gefahr, dass das Land durch wirtschaftliche Verwerfungen zum Austritt aus dem Euro oder gar der EU gezwungen wird. Das könnte das Land zu einem Hort der Instabilität an der Außengrenze Europas werden lassen – etwa in Bezug auf die NATO, die Flüchtlingspolitik und viele andere Themen. Das kann niemand wollen.
Deshalb muss es wieder zu Verhandlungen kommen – auch wenn die nun sehr schwierig werden. Der griechischen Regierung muss trotz des „Nein“ klar sein, das es ohne Verzicht auf Souveränität und ohne den Willen zu Reformen im Land keine Hilfen wird geben können.
Für die übrigen Euro-Länder muss dies ein Weckruf sein, endlich die Eurozone nachhaltig abzusichern. Grundlage dafür kann der sogenannte Fünf-Präsidenten-Bericht, den die Präsidenten der fünf wichtigsten EU-Institutionen, Jean-Claude Juncker (EU-Kommission), Mario Draghi (EZB), Jeroen Dijsselbloem (Eurogruppe), Martin Schulz (Europäisches Parlament) und Donald Tusk (Europäischer Rat) vor kurzem vorgelegt haben. Die darin vorgestellten Reformvorschläge, die unter anderem eine tiefere europäische Integration im Finanzsektor, eine effektivere Banken-Rekapitalisierung und den Beginn einer Kapitalmarktunion vorsehen, zeigen in die richtige Richtung. Wird dieser Plan um automatisch durchführbare nationale Fiskalregeln ergänzt, mit denen sich die Verschuldung dauerhaft senken lässt, und um eine Strukturpolitik, die punktgenau Schwächen in der ökonomischen Struktur der Länder beseitigt, lässt sich eine stabile Währungsunion erreichen.“
Stefan Kooths, Leiter des Prognosezentrums am IfW:
Signal in die falsche Richtung – Chaos und Attentismus gehen in die nächste Runde
Einen Konflikt zwischen zwei Vertragspartnern lässt sich nicht dadurch lösen, dass man ein einseitiges Referendum abhält, das den Konflikt nur bestätigt. Auch wenn sich die Regierung Tsipras nun innenpolitisch bestätigt fühlt, so steht sie wirtschaftlich weiterhin vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik. Mit dem gestrigen Mehrheitsvotum sind die Voraussetzungen für eine Besserung der Lage in Griechenland schlechter und nicht besser geworden.
Die ökonomisch inkompetente und gegenüber den europäischen Partnern offen feindselig auftretende Regierung hat in den ersten sechs Monaten ihrer Amtszeit nicht nur kostbare Zeit vergeudet, sondern sie hat durch ihr chaotisches Agieren die ökonomische Entwicklung des Landes weit zurückgeworfen und das Vertrauen nicht nur der europäischen Partner, sondern – wichtiger noch – der so dringend benötigten Investoren pulverisiert. Nun steht zu befürchten, dass der das gesamte Land lähmende Attentismus, also die abwartende Haltung in der Hoffnung auf eine sich bessernde Situation, in die nächste Runde geht. Darunter werden am stärksten diejenigen zu leiden haben, denen sich die amtierende griechische Regierung besonders verpflichtet zu fühlen glaubt, nämlich die Schwächsten der Gesellschaft. Diese sind dringend darauf angewiesen, dass die institutionelle Dysfunktionalität in Griechenland überwunden wird, damit marktfähige Produktionsstrukturen entstehen können, ohne die sich der allgemeine Lebensstandard nicht heben lässt.
Das Eurosystem hat keinerlei Mandat, die Reformunwilligkeit der griechischen Regierung monetär zu alimentieren. Um die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik nicht weiter zu beschädigen, muss (und kann) sich die EZB vor dem nationalen Missbrauch der Druckerpresse schützen, indem sie das griechische Bankensystem von der Geldschöpfungsmöglichkeit ausschließt. Damit sieht sich das Land nun dem härtesten monetären Regime gegenüber, das es jemals hatte. Auch diese Konsequenz stand implizit zur Wahl beim gestrigen Referendum. Ein drittes Hilfsprogramm ist unter den jetzigen Bedingungen kaum in Sicht. Damit rückt vermutlich der Austritt des Landes aus dem Euroraum näher, auch wenn damit keines der Kernprobleme des Landes gelöst wird.
Quelle IfW, Bild verve depositphotos